Hör mir auf mit Rock‘n‘Roll: Sex, Sport und Fressen – das ist das Triptychon des banalen Glücks. Im Turnus widmet sich KSB der scheinbaren Einfachheit des guten Lebens.
«I think it means garden.» Mein kleiner Bruder schaut auf die Karte. «Or, no, wait. Flower garden?» Mehr noch als die Übersetzung lässt meine Aussprache zu wünschen übrig. Mir sind tonale Sprachen knapp ein Begriff, an einer versucht habe ich mich noch nie. Als würde mir jemand sagen, ich solle bei einem Wort jede Silbe betonen. Ich wiederhole Variationen von «Huayuan» (alle falsch), bis sich der Wirt unserem Tisch nähert. Small Talk in Mundart mit meinen Eltern, dann zum Wichtigen: Mein Bruder bestellt in Mandarin. Anfangs gab es immer einen Moment Verwirrung beim Sprachwechsel, mittlerweile kennen sie unseren polyglotten Tisch. Meine Familie ist oft hier, jetzt winkt mir der Wirt sogar zu, wenn wir uns zufällig im CCA sehen. Was mein Bruder bestellt, weiss ich nie ganz genau, ich suche jedes Mal vergebens im Menü nach den Speisen, die uns seine Sprachkenntnisse herbeizaubern.
Das Huayuan im Fischermätteli ist mir mittlerweile Stammbeiz: für Familienfeste, für ungestörte Tête-à-têtes, für Sonntagabend mit Kater. Während der harten Lockdowns war das verkleinerte Take-Out-Menü Balsam gegen Fernweh. Drinnen ist die Holztäfelung der alten Spunte schön erhalten, komplett mit (hoffentlich aus dem Betrieb genommenen) Serviceklingeln, behängt mit roten Papierlaternen und Stoffmalereien. Wer seine Authentizität in Plastikstühlen und projizierter Heruntergekommenheit sucht, sollte fernbleiben.
Das Huayuan ist fast immer voll, man teilt es mit Reisegruppen aus Ostasien auf Durchfahrt, Expats in Anzügen und Quartierbewohner:innen, deren Stammbeiz diese war, schon lange bevor sie Huayuan hiess. Auf der Karte findet man Gerichte aus den vier grossen Regionalküchen Chinas (eine ungefähre Aufteilung in die vier Himmelsrichtungen). Sehr zu empfehlen: Als Gruppe die Peking-Ente vorbestellen und sich ein Paar Stunden im Sääli vergnügen. Sowieso, the more, the merrier, einen Tisch voll Essen bestellen und sich den ganzen Abend über knusprig-klebrige Rindsstreifen, samtige Auberginen, betäubende Szechuan-Ente und nach Knoblauch duftendem Wasserspinat unterhalten. Den Rest einpacken, für ein gutes Mittagessen oder den besten Mitternachtssnack.
Und was die Authentizität angeht: Gastfreundschaft und gutes Essen ergibt zusammen vielleicht die schönste Tradition – man kann sie auch einfach neu gründen. Vielleicht frage ich meinen kleinen Bruder, wie genau das «crispy beef» heisst, damit ich es selbst bestellen kann. Oder ich freue mich einfach aufs nächste Mal mit der Familie essen zu gehen.
Huayuan im Fischermätteli 華苑酒家, Holligenstrasse 70. Dienstag bis Freitag Mittagessen von 11:30 bis 14 Uhr, Dienstag bis Sonntag Abendessen von 18 bis 22 Uhr. Dieser Text erschien zuerst in der gedruckten Augustausgabe des KSB Kulturmagazins.