Post Colonial

Die Hände stinken nach billigem Desinfektionsmittel. Es riecht nach dem Vorlauf beim Destillieren, dieser ungeniessbaren Brühe an Methanol, Acetaldehyd und Ethylacetat – der ersten Flüssigkeit, die beim Brennen von Schnaps aus dem Kühler tropft. Dieser frühe Geist macht blind, wenn man ihn trinkt.

Zum Sterilisieren reicht er. Sterilisieren bedeutet unfruchtbar machen.

In Minneapolis wurde ein Leben zerdrückt – und die Strassen brennen. In Bern fehlt der Name einer Bar – abgepflückte Buchstaben hinterlassen ein helles Negativ auf dem dreckigen Sandstein.

Kann eine Lücke unendlich sein oder ist es dann einfach die Leere?

Ein Shitstorm ist notwendigerweise ein Oberflächenphänomen. Wie das Mittel auch nur auf meinen Handflächen Keime erstickt. Der Shitstorm ein Hyperventil – wer seine Winde tiefer schnauft, riecht die zähen Rauchschwaden, die Fackeln des Lynchmobs. Er ist Kurzschluss zur Überbrückung dissonanter Befindlichkeiten, gefüttert von Schuldgefühlen und Normativen. Das kann nur böse knallen.

Eine Bar «Colonial» zu nennen war eine Dummheit. Eine Dummheit von ähnlicher Banalität, als man glauben möge, das koloniale Erbe in unseren Gassen würde irgendeinen Bilder-, Buchstaben- oder Feuersturm nicht überleben. Weisser Marmor brennt nicht. Und hätte man die Buchstaben auch zu Sand gehauen – als quasi performativen Nachtrag zur Empörungswelle auf den Sozialen Medien – selbst der Sand würde jedes Getriebe einer tiefergreifenden Sozialpraktik noch verklemmen. Einer Praktik, die nicht im naiven Rückgriff auf die Androhung von Strafe funktionierte. Nichts anderes ist schliesslich die Angst vor dem erwirkten Verlust an Prestige durch den Pranger.

Kein Verhalten hat sich so je nachhaltig verändert. Es folgt der verdächtigen Logik der Beichte und Busse, einer ausgeklügelten Mechanik der Selbstüberlistung, die auf Wiederholung an Ort und Stelle setzt – für immer gefangen im Beichtstuhl. Der Mehrwert geht am Ende an die Kirche, die Institution, an den herrschenden Diskurs.

Eine Geschichte von der Unschuld als Fetisch: unbefleckt, hell, kindlich. Es ist die Geschichte des Weissseins. Als Negativ dieser Konstruktion zeichnet sich die Schuld in der dunklen Ecke ab, in der Nacht, im Schwarz. Und du musst Angst haben davor, was dir im Dunkeln zustossen könnte. Deine Eltern müssen Angst haben um dich. So legitimiert sich die Macht, das Dunkle zu unterdrücken, so dass die Unschuld nicht gestohlen werden kann. Diese Geschichte zu akzeptieren, begünstigt unser Leben. Denn der weisse Körper ist für die ausführende Gewalt dieser Macht – der Polizei – neben dem Eigentum das Hochundheiligste. Das Bitterste daran hingegen: Den grössten Profiteuren dieser Verhältnisse ist das nicht einmal bewusst. Sie können die ausführende Gewalt nicht sehen, leben sie doch bereits in utopischen Sphären, an Orten ohne ständiger Polizeipräsenz.

«… privilege is not about what you’ve gone through, but what you haven’t had to go through, …»,

erklärt mir Janaya Future Khan dazu über den Bildschirm meines Telefons und hat es zu diesem Zeitpunkt weiteren 2 705 000 Menschen auf Instagram erklärt. Janaya ist queer und von dunkler Hautfarbe, sie lebt in Toronto, ist Kulturschaffende und hat sich aus der Armut befreit. «What white people must know» erklärt sie mir.

Von dieser konstruierten Geschichte, von konstruiertem Geschlecht, von konstruierter Angst. Zur Veranschaulichung zieht sie die Debatte um Identität heran.

Von einem Neutrum oder einem fehlenden Pronomen fühlt sich niemand angegriffen. Aber Menschen sehen sich einem stillen Vorwurf konfrontiert, wenn eine Minderheit plötzlich ihre eigene Geschichte definiert. Wenn Menschen austreten aus der binären, heteronormativen oder eben weissen Geschichte, die Anschluss an eine Entität und somit Sicherheit verspricht. Eine solche Selbstbehauptung wirft die Mehrheit – mindestens unterbewusst – auf ihre eigene Geschichte zurück und erzeugt Irritation, Ärger oder eben Schuldgefühle. Und wenn nur schon sanfte Änderungen der Sprache oder die ganz harmlose Feststellung Black Lives Matter irritieren, dann offenbart uns das, auf welch tönernen Füssen diese Geschichte eigentlich steht.

Diese Zerbrechlichkeit rührt daher, dass im stillen Kanon der privilegierten Masse niemand gezwungen ist, selbständig zu stehen – so ist das Individuum nur im Strom stabil. Geschenkte Sicherheit für jene, die in der Familie bleiben, das hat Tradition. Selbstwirksam ist das nicht. Erst ein aktives in Differenz Treten zu diesem Diskurs macht es möglich, selbstbewusst zu werden und auf eigene Beine zu kommen. Das gilt für diskriminierte Personen natürlich verstärkt, nur dass es da quasi von alleine passiert. Wirkliches Leben und solidarisches Handeln wird erst dann möglich, wenn man sich gegen die Angst zu immunisieren beginnt oder die strukturell befeuerten Schuldgefühle abbauen kann. Black Lives Matter ist vor allem auch eine Einladung, das zu begreifen und weiterzuerzählen.

Janaya erklärt mir das und fliesst beim Sprechen so klar, kühl und wohltuend wie ein Bergbach – weil sie gelernt hat, selber zu stehen. Weil sie sich emanzipiert hat.

Kann man Narben von den Wänden kratzen oder sind sie dann schlicht nicht mehr ersichtlich?

In solchen Momenten würgt es einen, wenn man an die verhockte Debatte um die Identitätspolitik denkt und wieviel linke Energie dort verraucht. Und man wünscht sich, dass zusätzlich das Wissen um die Theorie des Antirassismus-Theoretikers Adolph L. Reed Jr. mit alten Postmaschinen flächendeckend über allen bewohnten Gebieten der Kugel abgeworfen würde. Eine Theorie, die das Problem reiner Identitätspolitik beschreibt und die Sackgasse ausleuchtet, die auch eine absolut diskriminierungsfreie Gesellschaft mit sich bringen würde. Eine Gesellschaft nämlich, die mit dem Erfüllen aller moralischen – mitunter individuellen – Gleichberechtigungsansprüchen die Ansprüche der verstärkt verschwimmenden Klassen vergisst. Es bliebe eine ungleiche Gesellschaft.

Dass die Selbstbehauptung von Minoritäten einen Fortschritt darstellt, ist selbstredend. Dass sich daraus ein Anspruch ableiten lassen soll, der die Befindlichkeit nobilitiert und sie somit zum blockierenden Argument einer jeden Diskussion werden lässt, ist es nicht. Gegen Gefühle gibt es keine Argumente.

Im Gegenteil spielen die akzentuierten Befindlichkeiten den politischen Gegner*innen in die Hände, weil sie auch auf die Bedingungen der Zerbrechlichkeit und Verletzlichkeit angewiesen sind. Und diese Bedingungen liegen, wie uns Janaya Future Khan gelehrt hat, im Zentrum des weissen Projekts. Wer dünnhäutig ist, kann nur schwer einen Schritt von seinen Gefühlen weg Richtung Gemeinschaft machen. Wer überempfindlich ist, tendiert zum Kurzschluss und begnügt sich mit einfachen Lösungen.

Alles wird brüchig. Zum Glück gibt es da noch die Strassen in den USA. Menschen im solidarischen Verbund können stärker als Panzer sein.

Strassen gibt es in diesem Sinne auch bei uns. Heute ab 14:00 auf dem Bundesplatz.