Postkarte aus dem Hinterthurgau

«Eine junge, innovative Gemeinde mit Zukunftsperspektive» steht am Gemeindehaus von Tobel-Tägerschen und ich träume davon, eines Tages lügen zu können wie Ostschweizer Dörfer in ihren Gemeindeslogans.

Am Rande des Dorfes, oder vielmehr am Ende des Dorfes, liegt die Komturei im Schutze des Tobels, das sich hinter dem Komtureigelände in den Hinterthurgau gräbt. Jahrhundertelang befand sich an diesem Ort eine Johanniterkomturei, von hier aus wurden Ländereien bis nach Frauenfeld verwaltet und mit dem erwirtschafteten Geld die Kreuzzüge mitfinanziert. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde aus der Komturei eine Strafanstalt. Fast zweihundert Jahre lang waren hier Menschen inhaftiert; Brandstifter, Mörder und solche, die sich halt einfach irgendwo rumtrieben und störten. In den 1970ern wurde die Strafanstalt schliesslich geschlossen, weil beinahe mittelalterliche Zustände herrschten, von denen heute noch zwei Stockwerke mit engen Zellen in unveränderter Form zeugen.

Heute steht ein Grossteil der Komturei leer, das Gebäude ist renovierungsbedürftig, Geld ist nur wenig da. Ambitionierte Projekte versandeten, die Aufwertung wurde verpasst. Eine Stiftung pflegt das weitläufige Gelände und kümmert sich um niederschwellige kulturelle Belebung. Aber verpasste Aufwertung ist immer auch Ressource und so ist sie das diese Tage auch für mich. Im barocken Salon im ersten Stock ist ein temporäres Studio entstanden, um die Vocals für das kommende Album meines Eurodance-Duos zu recorden. Die psychedelische Garage-Band Obacht Obacht hat zudem im Erdgeschoss zwei Autoladungen Musikequipment in vier Räumen verteilt.

Die Geschichte der Komturei hallt laut in den leeren Räumen, aber sieben Musiker und Musikerinnen sind lauter als die Vergangenheit und so kommt Leben in die leeren Räume und bei uns Ferienlagerstimmung auf. Wer nichts mehr hört oder nichts mehr zu können glaubt, sitzt mit einem Bier in den weitläufigen Innenhof unter die Bäume oder im Tobel hinten nackt in den Bach. Abends Risotto essen und Aufnahmen durchhören oder Grillkäse und sich am Lagerfeuer wärmen. Und manchmal, wenn alle schon schlafen, setze ich mich in den Salon unter die Stuckaturen auf das alte Sofa, schreibe an meiner erotischen Alain Berset Fan-Fiction. Oder swipe mich durch Tinder, um zu sehen, was es sonst noch so gibt in der Gegend.