Ancona –
Das Heck offen, wie ein Backofen, die Laderampe von der Fläche eines Dorfladens. Die Cruise Olympia liegt am Dock. Autos kriechen ein und aus, Lastwagen und Wohnmobile, ein alter Käfer. Die Fernfahrer schloten marlbororote Wölkchen aus ihren Kabinen. Dazwischen verhetzte Touristen, nach dem langen Warten an der Sonne, auf der Suche nach ihren Fahrgemeinschaften und Familien, Autoschlüsseln.
Die Hektik hat was Synthetisches, ich meine Gewolltes. Die Antreiber hier, diese Virtuosen des Autozirkelns, Dirigenten – beim Beladen der Fähre schlägt ihre Stunde, dem Berufsstand Geltung zu verschaffen, etwas Glanz. Kurze Momente des Arbeitsstolzes wiegen Silber. Sie gestikulieren und rufen, wir nicken ihnen zu und spuren – schenken den Respekt. Im Tausch fassen wir Vertrauen.
Ich habe Angst vor solchen Schiffen wie vor dem Gotthardtunnel.
Dann laufen wir aus – glühender Hafen von der Abendsonne, Goldbarren in der Luft. Zum Glück hustet die Cruise Olympia Turnhallen an Russwolken übers Achterdeck – sonst würde einem noch vor Schönheit schlecht.
«Sicher trotzdem besser als fliegen»,
sagt ein Mädchen zu ihrem Bruder, die Mutter hält sich an der Reling fest, eine Atemschutzmaske hängt an ihrem Oberarm, der Bub an ihrem Kleid. Ein Rest Mittelstand traut sich in die Ferien, trotz Krankheit und Klima. Die Fernfahrer trinken Bier aus grünen Flaschen.
Beim Nachtessen saufen sie weiter und baggern sich durch die faden Pastahaufen der Kantine wie Schaufelräder durch trübe Wasser. Es ist ein gerechtes Fressen. Ihr Transit meint Erbarmen. 24 Stunden kein Einhalten von Schlafzeiten, kein Stress, keine weissen Streifen. Dafür Telefon mit zuhause oder das Bordcasino. Die Fähre ist ihnen Gnadenstand.
Die Rauchfahne steht diagonal in der Nacht, Neon schlägt mir ins Gesicht, der Wind geht, eine Panzertüre bleibt offen auf dem Oberdeck zwischen Rettungsinseln. Eintreten – es riecht nach Pisse. 24 Käfige, ein Hund, im Zwinger, sitzt vor sich hin, sitzt die Überfahrt aus, diese Zäsur an Anerkennung, er nimmt sie still. Die Fähre ist ihm so lang wie breit wie die Gerechtigkeit. «Kein Tier würde jemals für eine Flagge gehen.» Wer hat das nochmal gesagt? Es ist die wärmste Kajüte an Bord der Olympia.
Schlafen dann mit dem Kopf auf dem Linoleum, denn Kabine kostet extra. 30 Meter unter uns poltert der Diesel. Niemand träumt von nichts.
Am Morgen ist schon fast Mittag und bald Igoumenitsa, kaum Wellen, zum Schaudern dieser Spiegel – das Zeichenlose. Plötzlich der Gewissenbiss – Griechenland, Moria, das brennt wie ein Insektenstich. Mit dem Feuerzeug kann man dagegen vorgehen, sagt jemand, gegen den Juckreiz. Das heisse Metall auf die Stelle drücken, ein lokales Fieber erzeugen. Und ein schlechtes Gewissen hat man schnell gehabt – meine ich. Jetzt müssen wir ausbooten.
Patras.