Ein zwischen Waldrand, Stöckacker und Bethlehem vergessenes Quartier, die Untermatt. Hier geht die Sonne früh unter. Lastwagenflotten von trotziger Industrie stehen Beulen in die Strassen, der ausgetrocknete Pfuhl am Weyermannshaus macht die Mondscheibe, schwerer Regen setzt ein und zerplatzt orthogonal an Plattenbauten. Es würde nicht erstaunen, wäre hier irgendwo ein Puff. Love Saves The Day. Im Dach des ausgedienten Loeblagers an der Ziegelackerstrasse brennt ein Licht: Simon Schär bittet vier Treppen hoch. Urs ist dabei zum Fotografieren und Staunen, Totalansichten der Werkstatt werden uns verboten, «where the magic happens», meint Simon, das behalte man vorerst für sich. Vorbeikommen darf aber jeder. Der Berliner Szenemann Alexander Paulski zum Beispiel hat sein Gerät persönlich abgeholt, «dann sind wir noch in den Wohlensee». Jetzt ziert die mild-glühende Aussteuerungsanzeige des Modells RDM20 Paulskis Soundcloud-Profil. Simon Schär und Partner Marcel Schneider bauen Mischpulte für DJs.
Das Gerät sieht aus wie aus den späten Sechzigern. Es scheint zu sagen: Fass mich an, ich bin ganz weich und mein Klang ist buttrig und warm …
Simon: Ach, wir sind keine Esoteriker. Das Ding soll das Signal, die Musik, möglichst gut verarbeiten können. Für mich gibt es sowas wie «warmen» Klang nicht. Entweder es klingt gut – oder es klingt nicht gut. Wir sind Techniker. Ich denke, das hilft uns, die Arbeit nüchterner zu sehen und sauberer zu machen. In unserer Position wäre es schädlich, an Geister zu glauben.
Aber der Geist der Discogeschichte steckt irgendwie schon in diesem Gerät.
Ich liebe die Musik aus den Siebzigerjahren, New York, Paradise Garage und so weiter. Meine Eltern haben mir den Funk gezeigt, davon bin ich nie mehr losgekommen. Und mein Onkel kommt immer an unsere Events im Rössli, er hat sich da einen gewissen Bekanntheitsgrad erspielt als ältester Gast und bester Tänzer. Flow kann alles sein: Ein Beat, ein Schaltkreis – aber die Arbeit als Techniker bleibt am Schluss doch eine andere, irgendwie separate Welt.
Wir streifen durch die Manufaktur, betriebsame Aufgeräumtheit, jeder Arbeitsschritt hat seinen Platz. Wir schnüffeln vorsichtig an den Bauteilen – die Sehnsucht nach dem Lötkolben, Urs schweigt heilig vor sich hin und macht hardcore-pornographische Nahaufnahmen. Marcels Arbeitsplatz im hinteren Teil des Ateliers ist eine Burg aus Messgeräten und Bildschirmen. «Er ist schon ein Freak», sagt Simon, im Wissen, dass es ohne Marcels Spinnerei nie so weit gekommen wäre. Mittlerweile haben die beiden rund hundertachtzig Modelle des ersten Bautyps verkauft, dreissig Bestellungen für die neue Serie sind bereits eingegangen. Wenn Mutter fragt, ob es gehe mit dem Geld, können die beiden knapp bejahen. Gleich neben Marcels Flimmerburg wird ein frisch zusammengebautes Exemplar dem letzten Stresstest unterzogen, 24-Hour-Partymodus, es blinkt lustig und scheint gesund.
Ist dieser Belastungstest der letzte Schritt, bevor das Mischpult auf die Post geht?
Fast. Wenn alles stimmt, dann kommt endlich der Mensch ins Spiel. Ich schliesse es an den Plattenspieler an, streife die Kopfhörer über und spiele etwas an, eigentlich immer «Random Access Memories» von Daft Punk. Es ist mehr ein Ritual als ein Arbeitsschritt. Zum ersten mal musikalisch an diesen Knöpfen drehen …
Simon und Marcels Mischpulte sind vom Typ «Rotary Mixer», sie kommen ohne Schieberegler aus: Das Ineinandermischen der Stücke wird ausschliesslich mit Potentiometer erzeugt, so heissen die Drehknöpfe im technischen Jargon. Simon sagt dazu:
Das ist auch so eine Hommage ans New York der Siebziger. Da gabs meines Wissens den Fader noch nicht einmal. Es hat einfach gedreht, auf den Plattentellern, in den Köpfen der Leute – und eben auch auf den Mischpulten. Aber eigentlich ist das gar nicht so eine Geschichte, du kannst mit einem Poti so ziemlich dasselbe machen wie mit einem Fader. Und technisch ist es sowieso einerlei, einfach mechanisch anders übersetzt. Insgesamt machen die Knöpfe das Mischen vielleicht etwas langsamer, sorgfältiger … das ist alles.
Für wen baut ihr das eigentlich?
Grundsätzlich für alle. Klar, es ist ein Spezi-Gerät – und es kostet, obwohl wir verhältnismässig wenig daran verdienen, schon mehr als ein marktübliches Massenprodukt. Es ist eine Liebhaberei. Wir arbeiten akribisch für die letzten zehn Prozent Qualität, die eine automatisierte Herstellung nicht garantieren kann. Und wir machen das für weit weniger als zehn Prozent der DJs auf dieser Kugel. Aber es ist uns wohl in unserer Nische. Einmal ist ein Typ aus China vorbeigekommen – der ist einfach über London nach Kloten und dann hierher ins Loeblager gereist, um die Konsole gleich selber mitzunehmen. Oder dieser Club in Zürich, die haben sich mittlerweile fünf Exemplare gesichert, wobei eines geklaut wurde.
Freut dich sowas insgeheim?
Klar, das ist ein Kompliment. Aber für die ist es natürlich Mist, wenn Geräte aus der DJ-Kanzel geklaut werden.
Urs rauscht ab. Simon und ich gehen zweihundert Meter weiter ins Restaurant Jäger, das aussieht, wie es heisst.
Wie gehts euch in der Seuche?
Als DJ – mies, das ist klar, da geht es allen gleich. Die Manufaktur läuft aber erstaunlich gut, obwohl unser neues Produkt ein vollumfänglicher Club-Mischer ist – und wir in der Geschichte des elektrisierten Nachtlebens wahrscheinlich den allerdümmsten Zeitpunkt erwischt haben, dieses Ding auf den Markt zu bringen.
Monika vom Restaurant Jäger scheisst die Sache mit dem Covid auch langsam an, aber was solls, in der Gaststube werden die bösen Gedanken mit Herzhaftigkeit übertrumpft. Es ist Wild, schon viel zu lange keinen Rosenkohl mehr gegessen, Simon will eine Bauernbratwurst mit Croquettes. Von der Wand grinst ein schlecht gepinselter Polo Hofer, Monika lächelt unter der Maske, als sie unsere Bestellung entgegennimmt.
Woher kam die Idee, ein eigenes Mischpult zu erfinden?
Vor ein paar Jahren wollte ich mir einen handgebauten Rotary-Mixer kaufen. Ich habe das halbe Internet nach dem passenden Gerät durchsucht, bis nach Australien telefoniert – und als ich schon fast eine Bestellung gemacht hatte, erzählt mir ein Kumpel von diesem Typen namens Marcel, der einen Prototypen eines solchen Geräts gebaut haben soll. So hat alles angefangen. Du schwirrst gedanklich auf der ganzen Welt herum und findest in deiner kleinen Stadt, was du gesucht hast. Und plötzlich hast du eine Firma.
Wie fühlt sich das an, eine eigene Firma zu unterhalten?
Es ist verrückt. Ich wollte immer etwas mit Industriedesign machen, dann kam die Kleine auf die Welt und an Studieren war nicht mehr zu denken. Irgendwie hats jetzt doch geklappt, ich mache das, was ich wollte, es ist ein verdammtes Privileg. Auch menschlich. Jedesmal, wenn wir die feine Aluminiumplatte ankleben auf der Rückseite, das ist ein heikler Moment, wir müssen das zusammen machen, Marcel und ich, ganz vorsichtig mit der Pinzette, du hast nur einen Versuch – wenn wir die aufgeklebt haben, umarmen wir uns. Seit dem ersten mal und auch nach über hundert Mischpulten noch, wir umarmen uns zum Dank.
Aber manchmal fühlt sich die Sache doch zwiespältig an, so Teil des Systems zu sein, irgendwie die kleinste institutionelle Einheit des Kapitalismus zu verkörpern. Dinge zu verkaufen, Werbung zu machen. Den Leuten zu erzählen, wieviel Arbeit in deinen Produkten steckt, dass du alles fünfmal durchprobierst, ein Perfektionist bist und was deine Philosophie ist und so weiter. Mäse ist eher der verschwiegene Genius und noch dazu der bescheidenste Typ, den ich kenne – also mach ich das Marketingzeug. Wir wären wohl alle glücklicher mit dem bedingungslosen Grundeinkommen, weisst du.
Monika kommt noch einmal an den Tisch, als sei etwas Ungutes passiert. «Mannen, ich muss euch vorwarnen: Die Spätzli hier in Bern-Bethlehem sind die besten auf der Welt. Und zur Bratwurst: Da haben wir viel rumprobiert, wir haben fünfmal eine neue Rezeptur machen lassen beim Metzger, bis der Chefkoch zufrieden war. Wisst ihr, im Restaurant Jäger schauen wir auf die Qualität – und wenn es Liebe drin hat, dann schmeckts auch besser.»
Simon Schär und Marcel Schneider produzieren ihre Artefakte unter dem Markennamen Varia Instruments in Bern. Das neue Modell RDM40 mit vier Kanälen wurde am 15. Oktober im Buffet Nord in Bethlehem getauft.