Rec Out → Vision: Album

«Und eigentlich tragen wir Denim», will Oliver Georges festgehalten haben, nachdem er gerade drei Dekaden Klubkultur in fünf Minuten verhandelt hat, spitzbübisch, als hätte er gerade einen Kranz geschwungen. Er war überall dabei, in Biel, Bern, Berlin – Breakdance, Poppers und Acid House. Und wenn er erzählt, ist das etwa so als ob eine Polaroid reden könnte, anstatt nur Bilder zu spucken. «Ich habe House produziert, aber mein Herz war immer am meisten dort: Schlaglicht, Regen, Lack, Metall, Rauch – oder besser dem Klang davon, dem Klang der 80er. Uns beiden ist kompromissloser Style wichtig und das bedingt eine kompromisslose Herangehensweise. Angefangen bei den richtigen Synthesizern und Effektgeräten natürlich, über die Ästhetik von Harmonien, Vocals, Melodien und bis hin zum kleinsten grafischen Detail auf dem Inlay der Kassettenhülle oder dem Albumcover», sagt Oli und zersägt seinen veganen Hamburger mit einem Ikea-Steakmesser.

Daneben sitzt Stephan Moser im Strickpulli und guckt ganz lieb unter den gestickten, golden gerahmten Hundeköpfen an der Wand, in der Hinterstube vom Café Kairo. Er schweigt und schmunzelt ob dem Feuer seines Kollegen, stiehlt diesem ab und zu Fritten aus dem Teller.

Selber ist Stephan Briefträger, irgendwo in der Gegend um Zollikofen, früher spielte er in der Jugendmusik Spiez und war danach zeitweilen Alleinunterhalter, an Hochzeiten und für Firmenfeiern. Er trägt das vor wie ein Schelm, das Bodenständige – schliesslich gab es in den 80ern auch noch die Juno Gang. Seine Italodisco-Truppe, die Capri Sonne des Berner Oberlands. Synths, Ray-Bans, etwas Leder und High Energy. Dancefloor – aber mit viel mehr Kante als Saturday Night Fever. Ein Zukunftsschock für die Peripherie, damals.

«Das Geilste waren Stadtfeste, wo alles querbeet kam; Trachtenfrauen, Rocker und die jungen Lockenköpfe durcheinander. Der Vorteil der Provinz – zum Feiern fliegt alles zusammen und Unterschiede fallen flach, mit genug Bier, Wein und Schnaps. Das hat dann schon gut aufgetragen, wenn wir da mit unseren Roland Keyboards aufkreuzten. Ich mag mich auch noch an ein Heavy Metal-Festival in Seftigen ’89 erinnern – die sind alle voll ausgerastet in ihren Kutten zu unseren Stücken, das war maximal inklusiv alles. Hauptsache Vollgas.»

Polaroides Erzählen also auch bei Stephan, darum war der Funkenschlag zum Oli Georges sicher nicht bloss Zufall, vor etwa sechs Jahren, als sie zusammengefunden haben: der Oberländer Synthie-Narr und der House-Produzent aus der Stadt. Es ist ein kleiner Hauskreis an Leuten, die dieses Genre pflegen in Bern, dieser Dekade der Dekadenz huldigen, mittels Kleinstauflagen von Platten und Kassetten (der KSB berichtete).

Klar zielt das musikalisch rückwärts, das ganze Album – seine Energie hingegen ist eine zukunftsträchtige. Da ist nichts korrumpiert vom Gefühl des Verlusts oder nie Erlebten, das ist keine Projektion, keine Bitterkeit – wie dies in retromanischen Produktionen im Mainstream oft genug der Fall ist. Oli und Stephan sind denn auch keine identitären Puristen, reichlich erfrischend nach der anfänglichen Fachsimpelei und den Anekdoten: dieses Aufgeschlossene statt Ausschliessende.

«Wir finden auch die Songs von Crimer gut, versteh uns nicht falsch, das sind schlaue Songs, einfach dass er ganz viel Wesentliches auslässt von damals. Von der Heritage her, der wäre vielleicht noch erstaunt und vielleicht müsste man einfach mal zusammen etwas machen, warum eigentlich nicht und dann sehen, wo das hinführt. Was meinst du, Stephan?»

Auf Vision: Album führen erstmal süffige Melodien das Zepter und die Stücke haben Titel wie Checkpoint Charlie, Neon Lights, Luna Park oder Chéri. Und trotz dieser auch nominell satten Farben ist da kein Diktat der Kaugummiblase, kein blosses Ibiza-Halligalli. Alles eher durchdrungen von einer eisernen Verve. Da kleben immer mindestens ein paar Tropfen Blut an den verchromten Stossstangen und wenn doch mal ein paar Rosenblätter vorbeitreiben, dann zwischen Eisschollen auf der Seine. Paris im Winter, Szenen aus Filmen wie Michelangelo Antonionis «Blow-up» blitzen auf. Der Abgrund in Trittweite – oder die Stimulierung des voyeuristischen Hintergrundrauschens, der Konsument entpuppt sich als Zuschauer. Das Gespenst der 80er, dieser ganz bestimmte Ennui der anschleichenden Spätmoderne, das rührt auch daher, dass die Objekte da langsam, aber definitiv ihrer Essenzen und Gegenwerte beraubt wurden, zum Dampf der Zeichen verkochten und höchstens noch als Hochglanzlack auf den Frontseiten von Modemagazinen resublimierten. Und so wortwörtlich en vogue die Hegemonie des Gaffens einläutete – im Sturm der anrollenden Bilderflut.

«Es geht auch um Dunkelheit bei diesem Sound oder genauer, um dieses Kippmoment – die Metamorphose des Zungenkusses am Strand hin zur nächtlichen Tristesse, zur Hetzjagd durch Häuserschluchten, innerhalb eines gefühlten Augenblinzelns», sagt Oli dazu, hält dabei quasi ein Plädoyer zur Behauptung von Ambivalenz mittels maximal zugänglicher Musik.

Vision: Album ist im Oktober 2020 auf  Thunder Touch Records erschienen und gibt es auf den gängigen Web-Vertrieben sowie vorzugsweise beim lokalen Dealer des Vertrauens zu erwerben.

Rec Out ist da, wo du am Pult den Cinch-Stecker einstöpselst, damit was klingt am Jack-Ende. Bei KSB heisst Rec Out regelmässig Schreiben zu naheliegender Musik.