Saint Denner Ghetto

Donnerstag, Caterina Barbieri verballert gerade ihr zweieinhalbstündiges Label-Kontinuum «Light Years». Für Dreiviertel sind wir mitgegangen, jetzt ist der Schwamm voll – wir müssen an die Kälte und rauchen. Es riecht nach Sprühlack vor der Dampfzentrale und wir sehen uns um; am Boden steht DENNER in roter Farbe.

Schon klar: Mittelfinger hoch gegen die versammelte Kulturelite der geteilten ästhetischen Ideale – ob mit Arztzapfen, Hungerlohn aus dem Kulturprekariat oder Stipendium an der HKB und Wagenleben. Wir sind hier alle am Ghetto zusammen. Und DENNER steht so – aus denselben Reihen gesprüht – als schönes Memento. Weil natürlich die Ladenkette selbst längst Pop Art ist, wie Prix Garanti (oder gar der Anzeiger). Warum, verstehen eben auch nur wir intuitiv.  

Auf der Bühne geht es Donnerstag bis und mit Samstag derweil immer wieder gerade um Zugänglichkeit. Kitsch ist Trumpf. Ob beim eingangs erwähnten «Light Years» mit Barbieri und Co. (Saxophonorgie, symmetrische Modular-Synth-Intermezzi, A-capella-Gesang), am Freitag bei der Operette von Lafwandah, den eingesprochenen Tagebucheinträgen von Jenny Hval bei Lost Girls, dem Balladen- und Autotune-Gemetzel von Jerskin Fendrix oder der Laszivität von Smerz auf dem Konzertflügel am Samstag. All diese Musik funktioniert bisweilen verstörend zugewandt und hinterlässt einen trotzdem (oder gerade deswegen?) in einer verunsichernden Bilderlosigkeit – auch wenn die Performances sehr bis zumindest streckenweise gefallen. Ein Gefühl etwa, das sich nach einer grosszügigen WC-Insta-Scrollgrind-Sitzung einstellt. Was wohl der Beweis für eine sehr zeitgenössisch gelungene Programmation ist (merci).

Trotzdem bleibt dieses Unbehagen, ein Unbehagen, das mich sonst eher nach der reflexartigen Bewertung von Musik anderer Ästhetik-Peers (Schlager, Stadionrock usw.) beschleicht. Abkanzeln oder auch Verklären beruhigt – wie Rückenkratzen, aber im Nachhinein grübelt sich doch wieder ein kleiner Schmerz unter die Haut. Ist es Scham? Und auch hier am Ghetto: Nach der Brause nobilitierten Hip-Kitschs von der Bühne kommt eine Art Reue auf. Ich verhandle diese Gram mit meiner Mitbewohnerin Miri: «Also was meinst du genau, Urs, warum bedauern? Hat dir doch gefallen.» «Naja, schon, aber ich dachte etwa so: Wer von uns hatte noch nie Lust dazu, entweder Radiorocker zu verlachen – oder dann folkloristischer Sülze zu huldigen? Belustigung ob der Einfachheit oder das Suhlen im behauptet Echten – klassisch. Und andererseits feiern wir dann inszenierte Fragmente davon auf der Bühne, die ja, zugegeben, zum Teil virtuos verquickt sind – lassen sie schwingen als Zeichen der Zeit und begnügen uns damit, die Sache subversiv zu verstehen.» «Ja aber Urs – das ist in weiten Teilen die Definition von Kunst», sagt Miri und lacht mich aus.

Schon klar. Aber wenn wir den Denner als Accessoire feiern, darf man ob all dem Stylen auch mal hierauf aufmerksam machen: dass nämlich diese Chiffre etwa vom urproletarischen Alki mit dem Büchsenbier vor dem Denner als Bildkraft aufgeladen sein muss, vom real Kaputten, um ins Flirren zu kommen. Damit wir den Dennersack dann als Tote-Bag benützen und unser eigenes Alki-Sein in der Szene in volleren Zügen geniessen können. Damit zementieren wir wiederum den alten Alki, ergo die minderbemittelte, deprivilegierte Position (was wir sonst doch tunlichst zu vermeiden behaupten) – das kann darum so niemand wollen. Genauso wenig eigentlich, wie sich für die eigene Freude am Kitsch zu schämen.