Signale vom Flaggschiff

Wie steht es eigentlich mit der Solidarität der grossen Häuser mit der freien Szene? Ein Kommentar von Moritz Achermann.

«Opernbühnen und Schauspielhäuser haben in der Krise versagt», wetterte NZZ-Feuilleton-Grufti Peer Teuwsen noch im Mai dieses Jahres im beliebtesten Trollforum für angry white men mit Bildungsbürgerhabitus. Tatsächlich hatten die Häuser etwas gewagt, was im vulgärliberalen Weltbild der Scheu’schen Komparsen ganz zuoberst auf der Liste der sieben Todsünden steht: Sie hatten aufgehört zu produzieren. Wie unerhört! Die Kreativen, die doch sonst in jeder Krise noch einen Weg gefunden hatten, ihre Kunst neu zu erfinden, wurden diesmal nicht kreativ. Sie machten einfach mal Pause. Kein Rigoletto auf Zoom und keine Jelinek-Performances auf der Veranda – dass es durchaus Initiativen und kleine Projekte von Ensemblemitgliedern verschiedener Häuser gab, blende ich, wie Kollege Teuwsen, jetzt mal aus.

Wie sieht es nun aber im zweiten Quasi-Kulturshutdown aus? In vielen Häusern der Deutschschweiz wird weitergespielt, im Theater Basel gar für fünfzehn Zuschauer*innen. Da gehört schon eine Prise Idealismus dazu, allerdings können sich die grossen Häuser – anders als die vielen Akteur*innen der freien Szene – solche Aufführungen im kleinen Kreis auch leisten. Hochsubventionierte Betriebe sind naturgemäss deutlich weniger vom Publikumsandrang abhängig; angesichts dieser Asymmetrie liegt Teuwsen mit seinem Diktum gar nicht so weit daneben.

Viele grosse Häuser haben es verpasst, sich mit der freien Szene zu solidarisieren – also all jenen Kulturschaffenden unter die Arme zu greifen, die nicht durch fixe Anstellungsverhältnisse abgesichert sind. Inzwischen hat sich jedoch ein bisschen was getan: Das Schauspielhaus Zürich stellt Räume und Infrastruktur für freie Produktionen zur Verfügung. Auch kleinere Veranstalter*innen wie das Zeughaus Kultur Brig oder der Gare du Nord laden Künstler*innen zum Arbeiten in ihren Häusern ein.

Vom Konzert Theater Bern mit seinem stattlichen städtischen Subventionsbeitrag allerdings war noch gar nichts in diese Richtung zu hören. Das Flaggschiff der Berner Hochkultur übt sich in Funkstille. Zu vernehmen war nur die Sistierung des regulären Spielplans bis Februar und die Suspendierung nahezu des gesamten Ensembles zum feierlichen Einzug der neuen Intendanz. Mitten in Pandemie und Wirtschaftskrise. Bis dahin dürfen die Ensemblemitglieder Stücke zu Ende proben, die vielleicht nie das Licht der Bühne erblicken werden. Ein Hoch auf die Idealist*innen des Kulturbetriebs!