Est-elle ici?

Wie eine Geschichte erzählen, die von der Geschichte verschluckt wurde? Ein feinfühliger Film macht sich auf die Suche nach der beinahe vergessenen Folksängerin Jean Karen Dalton.

«No idea, Mann, was denkst Du denn – ist ja fünfzig Jahre her.» Ob er bei der Entstehung des Fotos dabei gewesen sei, daran kann sich der Banjobauer zu Beginn der Erzählung beim besten Willen nicht mehr erinnern. Die betreffende Aufnahme zeigt Karen Dalton, selig, im Schoss ihr Saiteninstrument. Es ist eines der wenigen überlieferten Bilddokumente der Sängerin. Und steht symptomatisch für die anspruchsvolle Ausgangslage dieses Dokumentarfilms: Alte, nostalgische und unzuverlässige Zeitzeugen, wenig Originalmaterial und ein von Lücken, Gerüchten und Mythen geprägter, folkloristisch tradierter Lebtag dieser tragischen Figur des Folk. Die Biographie einer geisterhaften Frau vom Land, die das New Yorker Greenwich Village der Sechzigerjahre mit ihrer Stimme entzückte – und doch nie dazugehört hat.

Die Lausanner Filmemacherin Emmanuelle Antille macht diese brüchige Disposition zur Stärke ihres Stücks. Und sie macht sich auf die Reise durch ein zumeist ländliches Amerika, lässt sich Daltons Geschichte von den Menschen erzählen, die sie begleitet haben: Musikerinnen, Aussteiger, frühe Weggefährtinnen und späte Bewunderer. Die analytische Schärfe weicht so einer versöhnlichen, volkstümlichen Poesie – fast, als würden die Zeitzeugen selbst in Liedern singen von der beschwerlichen Reise einer wunderlichen Frau und ihrer wunderbaren Stimme.

Die darin verborgene Tragik – «the dark side» – sie schwingt ebenso mythisch wie unterschwellig mit. Ausbuchstabiert wird sie nicht. Es ist die menschlich-empathische Leistung dieses Films, Jean Karen Daltons Leben nicht als haarsträubende, sondern als zärtliche Geschichte zu erzählen.

Und wo die einfachen Antworten fehlen, die faktischen Belege, da begibt sich das Filmteam um Antille selbst auf die innere Suche. In Collagen und kunstvollen Schnitten legt sich so ein animistischer, von Sprengseln indigener Spiritualität betörter Nebel über das Narrativ. Was bleibt, wenn jemand gegangen ist? Wie kommunizieren wir mit der Vergangenheit? Dass Dalton im Übrigen indigene Vorfahren gehabt habe, es gibt diesen mythischen Exkursen einen biographischen Halt und bleibt doch ganz elegant nur Randnotiz.

Geschichte muss gesungen werden. Daltons spärliche Diskografie umfasst ausnahmslos Traditionals als liebevolle Aneignungen aus dem reichen amerikanischen Liederbe. Ihre eigenen Kompositionen aber ruhen auf Papier. Emmanuelle Antilles Film lässt sie klingen, vorgetragen von Musiker*innen, als Gedichte gesprochen oder zu Metaphern montiert.

In einer fiebrigen Nacht vor gut fünfundzwanzig Jahren ist Jean Karen Dalton  krank und recht einsam gestorben. Dieser feinfühlige Film scheint vor allem ihr selbst zu gehören.

Der Film «A Bright Light – Karen And The Process» feierte im Kino Rex seine Berner Vorpremiere. Weitere Vorführungsdaten sind auf der Website des Projekts einsehbar.