Spielt sie weg

Wo kommen die plötzlich alle her? Die Herkunft des Trottinetts ist nicht eindeutig, sein Ursprung irgendwo in der aufschäumenden Moderne zwischen dem ausgehenden 19. Jahrhundert und den 1930er Jahren. Als Spielzeug für die Kinder des Grossbürgertums, die keine Lust mehr hatten auf Schach oder Klarinette, sondern sich treiben lassen wollten entlang der Gaslampen im Quartier – flottieren und nicht denken müssen. Das Trottinett, vom französischen trottiner, trappeln also, bezieht sich nominell auf Geschwindigkeit, die Beschleunigung von kleinen Besorgungen in der Stadt beispielsweise, ein Versprechen auf Effizienzsteigerung. Sein Nimbus rührt vom Gegenteil – der Verschwendung von Zeit.

«Der kulturell-ästhetische Kapitalismus setzt auf permanente Innovation und zugleich auf immer mehr Produkte mit kulturellem und ästhetischem Reiz. Selbst ehemals rein technische Waren wie Computer oder Automobile versprechen einen sinnlichen Erlebniswert, den der Konsument von ihnen verlangt»,

schrieb der Soziologe Andreas Reckwitz 2012 in seinem Buch «Die Erfindung der Kreativität zum Prozess der gesellschaftlichen Ästhetisierung». In diesem Sinne kann die Renaissance des Trottinetts als Micro Scooter Anfang der Nullerjahre im Astronautenlook – proto Tesla – als Ausdruck der damals schon zunehmenden Ästhetisierung verstanden werden. Dass die aktuellen E-Trottis nun aussehen wie steroidgepumpte Ersatzteile des CERN, widerspricht Reckwitz› Aussage nicht, sondern zeigt, dass mittlerweile auch das Technische selbst – der Phänotyp Drohne – zum sinnlichen Gütesiegel ästhetisiert wurde.

Und es geht immer noch um Verschwendung, (technischer) Überschuss als Konstante, zum Statussymbol materialisiert. Man kann das Trottinett so als systemisches Symptom verstehen, das Gesellschaftsgruppen über den sonstigen Abgrenzungshabitus zur Identitätsversicherung hinaus vereint: Banker, Junkie, Erich Hess und Hippies – alle fahren mit. Universalismen existieren.

Dass in der Lorraine die neumodischsten Modelle zu fliegen begonnen haben, hat nun nichts mit der letzten Werbestrategie für die Tretroller zu tun, sondern mit dem (noch) inhärenten «Ich bin dagegen» aus dem Quartier, das einerseits als sture Technikverweigerung taxiert oder aber als gesundes Anti, als aktiven Pessimismus gelesen werden kann. Ein spielerischer Umgang, direkte Handlung mit den Insignen der abgelehnten Ideologie – anstatt kaputtmachen: Ein alternativer Universalismus für die Zukunft?

Fotos von Alexander Elsaesser.