Sternensiech

Gleiches löst sich in Gleichem, einst gelernt im Chemieunterricht und irgendwie bin ich mir nicht mehr ganz sicher – wenn Zucker in den Kaffee kommt, löst er sich auf, obwohl er süss ist und der Kaffee, nun ja, bitter. Zur Verteidigung: es ist lange her – und sowieso. Jedenfalls zieht es mich, wenn der Blues anklingt, hin zur Sieche, in den Sumpf – Bitter zu Bitter.

Haupt an Haupt, gehen die Paare also an diesem Sternenmarkt, neben Würsten aus dem Wallis her, neben mir und dampfenden Kesseln. Kunsthandwerk, Honig aus den Nutzwäldern, anthroposophisches Spielzeug, Handyhüllen aus Kork, kurz: das ganze Spinnwerk vom Kokon dessen, was heuer als nachhaltig gilt. In vorweihnächtlicher Hochauflösung dazu und ja, auch vegane Burger tragen Christbaumschmuck. Heilig ist schon lange nichts mehr – plötzlich habe ich Hunger, Lust auf Süsses und Familie.

Und das Gefühl von einer Grippe.

Diskursive Normativität überquillt am Sternenmarkt die Stände und tüncht damit die kleine Schanze bis aufs Fundament. Das Logo einer Krankenkasse blinkt unter einer Lichterkette, der Detailhändler aus dem Internet hat seinen Platz, aus einer Traube von Kunstpelzkragen tönt es nach Akontozahlung von Steuern fürs nächste Jahr und verglichenen Prämien, verpackte Gschänkli lugen aus Papiertaschen – eine Nabelschau des gesunden Menschenverstands. Der Käse stösst sauer auf, aber diese Normativität ist effektiv, wahrscheinlicher als kategorisch toxisch. Öffnet sie uns doch das Visier und reicht die Hand – verstehen wir sie denn zu lesen – auf dem schmalen Grat zwischen gerechtfertigter Distinktionslust, uns eingeimpften Intimitätsstrukturen und der Gefahr, die von der Bodenlosigkeit individueller Bedürfnisse ausgeht.

Die Augenbinde der Wertung schnüre jene, die sich des Urteils sicher sind.

Doch wenn der eigene Grund ganz sandig scheint, Wochen sich zu Tageshaufen türmen, im wüsten Takt der Marschmusik; wenn Kalendersprüche in der Tonne landen, hab acht, würgt dich die Hand und mutiert zur apokalyptischen Pranke. Im Schraubstock der Verlustangst fallen wir darauf zurück, behauptet sich die Normativität manifest: Schlag mich nicht – denn eigentlich willst du mich gar nicht schlagen, eigentlich bist du ganz ein Liebes, in der Zukunft, irgendwann wirst du ein Liebes sein. Aber schlag mich jetzt – damit ich weiss, dass du da bist, damit ich weiss, wo ich stehe.

Das wertvollste Salz sind Tränen.

Ich muss jetzt flüchten, zum Karussell – Insel der Indifferenz zwischen Realität und Paranormalem – der Sternenmärit verflüchtigt sich zwischen Wölfen aus Plastik und munzigen Trammwagen, ein paar verstörte Kinder noch und die kritische Theorie fällt mir aus der Jackentasche. Anker im Sturm der kognitiven Dissonanzen war schon immer die Esoterik: Rhizom von Deleuze und Guattari mit dem Rücken nach oben, ein Satz sticht aus dem Klappentext:

Lasst euch keinen General entstehen! Macht Karten, keine Fotos oder Zeichnungen? Seid der rosarote Panther! Und mögen eure Lieben sein wie die Wespe und die Orchidee, wie die Katze und der Pavian!

Ich stolpere vom Rösslispiel, scharf ist jetzt nur noch der Geruch von Glühwein – als Orientierungspunkt dient mir eine Gruppe greller Daunenjacken, die davon trinken, als gäbe es nie mehr morgen. Dreckige Mäuler bewegen sich über den farbigen Federn, spucken laut, rülpsen und verschmelzen zu einem dunklen Klumpen. Mich hingegen verschluckt ein Haufen Kaschmirhalstücher, dieser entwickelt bald eine Diskussion über die Problematik von Spendenaktionen gen Süden – eine lohnheischend arme Seele weibelt dafür zwischen den Holzhäuschen mit ihrem Kugelschreiber. Ich sage: «Es spielt doch keine Rolle, ob das Geld wirklich dort ankommt, vielmehr scheitert dieses System immer an der Fallhöhe seiner Vertikalität.» Die Halstücher sind meiner Meinung und wir verweben uns zu einem biederen Spannteppich sauberer Oberstuben, der Klumpen sickert als brauner Flecken darauf ein.

Der Kugelschreiber rollt gleichmütig davon.

Sternensiech, ich muss mich besinnen, Gleiches in Gleichem – es geht um das Medium. Damit wir nicht austrocknen im Monochrom der Kritik – Diffusion, der Weihnachtsmarkt fungiert wie Pinselreiniger. Roter Lack löst sich vom Dachshaar im durchsichtigen Nitro und alles wird rosa. Geschmack schmeckt sich selber nicht und bei Lösungsprozessen geht es am Ende um selbe Eigenschaften – Menschenskinder – nicht um gleiche Wellenlänge.