Suche Kilbi-3-Tagespass

Als ich das erste Mal die Kilbi richtig wahrnahm, war ich neunzehn und die Kilbi aber gerade schon wieder vorbei. Ich kannte wenige, die regelmässig gingen. Doch umso mehr ich davon hörte, desto mehr konstruierte sich ein Wunsch in meinem Kopf. Das Line-Up las sich kryptisch, wenig war mir bekannt. Ausser einer Handvoll Namen von Bands, die Ideen weckten, und Lust . Ich war versessen auf die ersten Hyperpop-Auswüchse und las «SOPHIE» auf dem Programm. Die kapitalen Buchstaben hallten in meinem Kopf wie das Echo einer verpassten Gelegenheit. Zwei Wochen lang war ich traurig und schwor mir: Das nächste Mal bin ich dabei.

Im nächsten Sommer begann ich fürs KSB zu schreiben. Und noch ein Jahr später liess ich mich mit einer Mail, mit angehängtem Passfoto, akkreditieren und stolperte also im Herbst 2021 das erste Mal durch die Holzschnitzel. Ich hatte es geschafft.

Und jetzt steh ich da, vor der grossen Bühne, ich warte auf den Kilbi-Moment. Gar nie reingehört in das, was jetzt kommt. Der Name sagt mir nichts – aber es sei gut, raunt es um mich herum. Nach fünfzehn Minuten setzt allerdings Enttäuschung ein. Auf dem Gesicht der Person, mit der ich mich nach vorne gedrängelt habe, hat sich die Vorfreude abgelöst. Ein Handzeichen, es ist zu laut zum Sprechen, ausgestreckter kleiner Finger und hochgereckter Daumen – Bier holen und dann weiter schauen. Der Kilbi-Moment? Das Konzert, bei dem man nach einer Stunde an exakt der gleichen Stelle die Augen öffnet, da wo man auch am Anfang stand – und nur noch grinsen kann. Oder wenn man in der Menge plötzlich weinen muss. Ein Set im Haus bei dem die Poren ersaufen vor lauter Schweiss. Auf der Suche nach Magie, Sorgfalt, Überzeugung und vielleicht etwas Kitsch, immer und immer wieder.

Ich rede mit Menschen über das Festival, alle haben was zu sagen. Ein bisschen wie übers Wetter reden, wenns regnet, oder über Drogen, wenn man high ist. Einige haben extra frei genommen für den Tag, an dem die Tickets aufgeschaltet werden. Allen ihren Freunden geschrieben, ob sie ready sind. Sind dahin, wo das gute Internet ist, und haben die Maus an den Laptop gesteckt. Damit sie beim Klicken etwas schneller sind. Und dann hat es trotzdem nicht gereicht: «Suche noch Kilbi-3-Tagespass.» Kaum sind die Tickets ausverkauft, tauchen die Annoncen auf. Reger Handel über Internetverkaufsplattformen. Aber der Markt ist nicht nur digital. Auf dem Weg zum Festival hängen Angebote von Laternen und Menschen stehen mit Schildern am Strassenrand.

Oder man kommt ganz ohne Ticket und schummelt sich rein. Über den Zaun. Oder der Bändelitrick – jahrelang erprobt an den Kommerz-Festivals. Mit Plastiksack, Nähnadeln, Drehtrick, Klebeband oder Schere. Der diebische Einfallsreichtum kennt wenig Grenzen. Wie Elstern. Ein paar kommen einfach für einen Abend, andere machen das quasi profi-mässig. Seit mehreren Jahren und über die ganze Festivallänge. Gute Gründe gibt es schon. Zu wenig Stutz, chronisch SOLD OUT oder die spontane schelmische Lust. Und die 85.-, die man fürs Ticket gezahlt hätte, sind dann eh schnell weg, in Form von drei halben Litern Bier, dem Lammcurry, fünf verlorenen Bechern und einem Vodka-Mate.

Den nervigen Engel auf der Schulter, der seinen erhobenen Zeigefinger in den Hinterkopf bohrt, haben trotzdem viele beim Reinschleichen. Auf den Gurten bändeln? Kein Ding, die haben es ja verdient, wo mittlerweile vor jedem Konzert ein Werbeblock eingeblendet wird. Aber hier? Der Kommerzvorwurf, von unter dem Cardinalzelt hervor, versandet schnell. Die Kilbi ist immer auch Dorffest, eine Luftbrücke zwischen Stadt und Land, und das hat seinen gerechten Zins. Es geht auch hier um Sponsorings und Geld. Aber in erster Linie ist man an der Bad Bonn Kilbi Teil von einem der wichtigsten Verstärker der kreativen Musiksphären der Schweiz, inklusive Internetradios, Performance-Kollektive oder Musikkritik. Die Kilbi ist ein Kirchenfenster, in eine Szene, aber auch in die Welt hinaus.

Am Fakt, dass es da nie genug Platz für alle haben wird, wird sich wohl schwer was ändern. Die Kilbi sagt über sich selbst in ihrer Medienmitteilung: «Der Fortschritt an der Kilbi ist die Abwesenheit des Interesses, dass sie grösser wird. Keine Chance und noch weniger Lust.» Und weiter: «Die Kilbi soll nicht viel weitergedacht werden.» Was neu sein wird: Die Kilbi wird endgültig in den Herbst geschoben. September statt Juni. Vielleicht gibt es ja nach der längeren Pause dafür ein Awareness-Konzept. Oder zumindest Seife bei den WCs. Fortschritt kann noch mehr als nicht mehr wachsen – er bleibt das Symbol glückender Veränderung.

Die Bilder stammen von Raissa Ruefli. Auch sie hatte es nicht geschafft, ein Kilbi-Ticket zu ergattern, und hat darum fürs KSB fotografiert. Kann man das noch reinschummeln nennen?