Dafür muss man alle Pausen eben kurz unterbrechen: Endo Anaconda ist tot, über eine Woche schon, und wir sind traurig. Wir haben Freund*innen gefragt, uns ein Lied zu schicken, ein Erinnerungsfetzen, eine Anekdote … Ein kollektives Ademercitschouzäme, dann zusammen weiterfahren, mitem Füdle über ds Liintuech.
Mini Mère hat mich früh schon mitgenommen zu einem Stiller Has Konzert. Das erste im Schadausaal in Thun. Dann bin ich auch ohne sie immer wieder gegangen. Zum Beispiel auf dem Bundesplatz ganz seelig nach bestandener Berufsmatura. Am Schluss Festival in Thun, dann im im Mokka Garten. Immer wieder Stiller Has. Zu sagen, er hätte mich nicht beeinflusst: eine Lüge. Merci Endo. Für deine wilden Texte und flirrenden Konzertmomente.
Milena Krstic
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Heimat, so will ich diejenigen Orte nennen, an die ich zurückkehren kann. So dachte ich zunächst. Aber «I fohr wieda ham», das haut nicht hin. Es gibt kein Zurück. Nur Äussere Enge. Innere Enge. Henkerbrünnli. Über Bollwerk zum Bahnhof und von da dann weg, oder weiter hin und her. «Deheim isch dert, wome nid use cha.»
Samuel Kaiser über St. Veit (Stelzen, 2002), Geisterbahn (Geisterbahn, 2006)
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Ich war nie so ein Fan, wie ich hätte sein sollen, aber er war für mich der Grösste und mit allem, wofür er steht, so wichtig. So verdorbe, das Teil, das hab ich vor den Jeans auf und ab gehört. Und Wallisellen, Merci, Znüni näh – darin ist alles, was es zu fühlen und zu sagen gibt, wenn mensch vom Mittelland aus der Welt begegnet, so tief und fest, dass ich es nicht in Worte fassen könnte. Vom Les Amis, vom Kreissaal aus, wo so viele losgezogen und getaucht sind. Er fehlt so sehr und er wird so sehr fehlen. I wot meh aus mönschemüglech isch, i wotnech ändlech lachä gseh, so lachet mau, lachet, lachet, lachet, isch scho rächt. In Trauer, in Ehrfurcht, in tiefstem Respekt.
Mike Egger
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Furt, Hene, genau so. Ach. Finde ich auch.
Einer meiner Lieblinge. Stiller als. Voll Has. Love!
Anaconda hatte eine grossartige Begabung für die Früherkennung der Idiot*in. Er hatte sie sehr gemocht, sonst hätte er nicht so schöne Lieder über sie geschrieben.
Wir haben Endo geliebt. Sein grosses Herz, sein Humor, seine Lautstärke und seine Konzerte haben mindestens zwei Kilbis gerettet. Sonst wäre grad gar niemand gekommen.
Danke und ruhe in Frieden.
Endo gut, wir ziehn den Hut.
Daniel Duex Fontana
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Er war eigentlich immer da, gleich neben mir, zum ersten Mal dann, als wir uns in frühreifem Übermut über das Gelände des Openair St. Gallen trolten. An meiner ersten Kilbi, wenn auch nur indirekt, als jemand gemeint hat, dass es früher besser gewesen sei, weil man da immerhin noch den Stillen Has gekannt habe. Er war da, im Sommer-Mokka-Garten. Er war TV, an den Abhörsäulen des City Disc, an den Gurtenfestivals. Aber ich, immerzu verloren wie ein Gagu im Weltall zwischen den Leben, den Orten, den Generationen, den Lieben und den Codes: ich liess ihn nie an mich ran, vielleicht auch aus Angst vor dieser Gewalt jenseits allen Sicherheiten. Lieber noch einmal im eigenen Mitleid suhlen und all den federschweren Worten aus dem heavyleichten Leben ausweichen, und lieber sauber und cool bleiben.
Am letzten Arbeitstag im letzten fixen Büro packte einige letzte, meist ungehörte Promo-CDs in einen Papier-Migrossack. Darunter war «Pfadfinder», die Abschiedsmusik von Stiller Has. Ich holte sie gestern aus dem Sack, klappte sie auf, sah eine Edding-Zeichnung mit Herz auf dem Booklet, und die vier Buchstaben: «Endo».
Und es het mi wi ne Sandmaa verluftet.
Benedikt Sartorius
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Ich habe Teile aus dem Stück («Velöle, velöle, mit denä Velo derä schönä schönä grüenä Aare nah» und «im Tierpark hets Meersöili, no meh Meersöili, no meh Meersöili») folgendermassen abgespeichert als Kind: Irgendwo in der Aare, an einem geheimen Örtli, das man suchen muss, ist ein grünes Velo im Wasser verborgen und dort hat es im Wasser auch ganz viele Meersöili, weil die Aare ins Meer fliesst und Meersöili ja auch ins Meer wollen, irgendwie so. Beim Spazieren mit dem Vater an der Aare habe ich nun denn immer Ausschau gehalten nach dem grünen versteckten Velo.
Elena Mauerhofer
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Endo,
jetzt hör ich dich wieder in meiner eigenen «Geischterbahn» und rieche die Angst, die bezahlte Fahrt zu unterbrechen und den Mordsspass zu verpassen. «So schlimm wies uusgseht chas nid cho.» Also weiter auf der Spur des Spuks, der Borderline bis zur Endstation, wo das Pendel in der Leere ausschwingt. «Deheym isch deet wo me nid usecha.» Der wichtige Notausgang führt in dich hinein, wie du mir vor paar Jahren beim Schlendern durch Freiburg sagtest. Und dann Schleusen öffnen, irgendwo in dir drin, um den ganzen Dreck wegzuspülen, der die Venen zum Gegenüber verstopft. Ein Schmerz, den du aushieltst, bald blautönig, bald lebenslustig, und mit deinem lyrisch verzettelten Humor, der die abgedroschene Ironie überstieg. Du hast nie aufgehört und nie mitgemacht. Drum ruf ich dir nicht nach, sondern rufe mir mit dir selber wach, was zählt.
Valentin Brügger
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«Verlore wie ne Gagu». Unten, auf dem Spannteppich im Kindheitshaus, vor den Boxen, die stoffbezogenen, braunen, die bei jeder Berührung und jedem Bass eine kleine Staubwolke in den Raum entlassen, unten, auf dem Spannteppich, zwischen den Katzenhaaren. Wenn ich mich nach rechts drehe, sehe ich in den Garten. Unten, auf dem Spannteppich liegend, zuvor die drei Knöpfe auf der antiquierten Anlage «Tape» und «Phono» gleichzeitig und dann noch den dritten, von dem ich heute nicht mehr weiss, was auf ihm steht, die Nadel knistert auf Vinyl, die Platte dreht sich, «Moudi», die Nadel am richtigen Ort aufgesetzt. Und ich dann zwischen den Katzenhaaren. Unten, auf dem Spannteppich. Ich bin ein Kind. Und eines von den Träumern. Lasse mich schnell forttragen in eigene Welten und der «All-Has» war ein Kickstarter.
Den Blick vom Boden über die gestapelte Anlage vor mir zur Fussleiste, nach oben, die Grenze zwischen Fussleiste und Wand entlang, diesem Streifen zwischen Hell und Dunkel folgen und dort bleibe ich mit meinem Blick, unter dem Fenster, an der Grenze. Schliesse zwischendurch die Augen. Wie ein Foto, das nicht alles zeigt, ist dieser Ausschnitt in der Stube meiner Mutter mit dem Song verbunden. «Und us däm all da gits ke uswäg, wiu das huere all isch überall». Auch hier. Genau hier, bei mir auf dem Spannteppich. Zu jung für Metaphern mit fünf Jahren auch den Referenzen (besonders den toxikologischen) verständnislos ausgeliefert, so wurde mir der «All-Has» als Kindergeschichte, als Hörspiel zur Traumlandschaft, zur verklärten Weltraumreise à la Ray Bradbury. Das Humoristische ging mir völlig ab, ich fiel mit Hasi durchs All. Meine Vorstellung des Ausserirdischen begrenzte sich auf eine 2D-Arcade-Welt. Und ich mit Hasi in Richtung Schwarzes Loch, «Houston, Houston», und Houston, das können nur die Eltern sein, Hallo, Houston. Und ich bin doch auch lost, auch wenn ich das noch nicht weiss. «Houston». Ich werde immer dünner, wie eine Spaghetti. Houston fragt: «Hasi, was siehst du?» «Ich sehe nichts, ich fliege mit Überlichtgeschwindigkeit, du Arschloch». Haha, Arschloch. Vintage-Weltraumromantik und die Stimme von Endo, schwankend zwischen kritischer Italo-Persiflage und seinem Wienern. Und dann ins Schwarze Loch – Nachricht auf dem AB, «tschou hie isch dr Pädu vom Café Mokka», Pädu Anliker, er erreicht den Flückiger seit Wochen nicht. Dann Houston zum Abschluss: «Jetzt bist du wieder da, dann schauen wir, dass du vorgestern nicht in die Rakete steigst, dann bist du gestern wieder da.» Ja, lass uns schauen, dass du vorgestern nicht in die Rakete steigst, dann bist du gestern wieder da. In meinem Kopf muss die Welt noch nicht so sein, wie sie ist – das alles sind Möglichkeiten, Vorschläge. Und ich liege zusammengerollt unten auf dem Spannteppich, den Blick auf der Grenze zwischen Fussleiste und Wand, vor den stoffbezogenen Boxen und lasse mich treiben. «Verlore wie ne Gagu».
Xaver Marthaler über All-Has (Moudi, 1996)