Bahnhofplatz 11, auf Steinwurfdistanz zum Brésil, Burger King und dazwischen der Aufgang zur Neuengasse samt Figurenkabinett: Marylong-inhalierende Großmütter, hackbrettspielende Oger und unterschriftensammelnde Armeegegner*innen – lieber Tchibo, über eine Dekade war deine Adresse feste Koordinate dieses rauen Quadranten Berns.
Mit deiner Billigunterwäsche und Fixleintüchern, deinen Staubsaugern von der Halbwertszeit reifer Bananen und all dem verpackungsvakuumierten Schrott, mit deinem speckigen Holzbalken von Tresen und deiner demütigen Stillosigkeit, damit warst du ein urbanes Refugium nach Serendipitätsprinzip – eine glückliche Fügung. Jetzt ziehst du um, 200 Meter nach weiter hinten und dein neues Konzept heisst: andere Rezepturen aka höhere Preise aka zahlkräftigeres Zielpublikum aka die Geschäfte vereinheitlichen die Laufkundschaft in den Lauben – das ist bedauernswert.
Dein Kaffee war niemals unwiderstehlich, dafür unschlagbar günstig (Doppio Fr. 3.90) und ich habe deinen Geruch geliebt. Robuste Noten – nach verschwitzten synthetischen T-Shirts, billigem Eau de Toilette, grundiert immer von dieser Idee gerösteten Arabicas. Es roch nach Mittelstand auf Schnäppchenjagd und Randstand auf Entzug.
Ich habe dich geliebt dafür, dass du so lange aufs Käthi gesetzt hast, mit ihrer Angst vor Demonstranten, loyal mit Kari und dessen Unverständnis für den Body Shop und treu zu seinem Café Crème – und jetzt plötzlich nennst du das Ding Americano, aber Björn wird nicht kommen – der geht schon lange zu Adrianos. Dein Kapital war das Unangesagte, dein Charme aus der Zeit, als Geiz noch geil war.
Dafür liebte ich dich, dass hier komische Kauze einkehrten, Menschen vom Sternzeichen Vogel – Einzelgänger mit zu zartem Leder für die Bierseligkeit der Stammtische, Schwestern auf Stadtausflug mit ihrem schmalen Klostersold oder schüchterne Hockeyfancliquen beim Vorglühen mittels hellen Schalen vor der Weltreise ins Allmendstadion. Du löstest Versprechen ein für die kleinen Leute, cosmopolitan-light, weil sie dich aus den Fussgängerzonen ihrer Städtereisen im nahen Ausland kannten.
Und nicht zuletzt habe ich es geliebt bei dir zu schreiben, rittlings auf einem deiner scheitstockgleichen Barhockern. Von hinter deiner Glasfassade wurde die Aussenwelt zum Stummfilm im Makromodus. Passanten suchten den Augenkontakt durch die nahe Mattscheibe und für Sekundenbruchteile galt diese Intimität von vor dem Aquarium, wenn der Blick des nahenden Haies dich trifft. Es waren kontemplative Momente von entrückender Schönheit – das Yoga der Müssiggänger heisst Betrachtung.
Taschau Tchibo das wars, heute war dein letzter Tag am Bug der Neuengasse, dann geht die Kaffeemaschine vom Strom und du lässt den Standort unter der Flagge Outlet bis Ende Juni ausbluten. Wer noch Insignien der Nullerjahre abgreifen will, betrete die Grabeskammer, der Rest lösche deinen Namen aus dem Verlauf –
Oase konntest du nur hier sein.