Und irgendwo der Sandstrand

Zwischen Strohballen und Reizgas: Tim Kummer zu einer bewegten Woche.

Bundesplatz, Montag, irgendwann vor sechs Uhr morgens. Eigentlich sind um diese Zeit nur die schnurrenden Roller der Post und die Lastwagen der Lebensmittelspeditionsfirmen unterwegs. Jetzt stehen hier Tripods und grosse Zelte. Menschen liegen angekettet in Schlafsäcken, umringt von Transparenten und Kreideparolen. Hinter den hellblauen Masken scheinen die Augen zu leuchten. «Dr Bundesplatz ghört üs» schreien zwei junge Menschen, die durch die wuselnde Menge rennen. Hier wird blockiert und besetzt und am liebsten bis Freitag.

Eine Allmend, denke ich mir, nur nicht bei Tamedia und Tesla, sondern im Herzen der Stadt. Aber Herz, das ist eigentlich falsch. Eher schon: Der Fussabtreter für Anzugsschuhe während den Sessionen. Der Abstellplatz für Demos, wenn man es ernst meint. Hier füllte der Frauen*streik den Platz bis in jede erdenkliche Ritze, hier standen beim Marsch fürs Leben die Zäune bis zum Bärenplatz. Hier zündete sich K. selber an, bei einer Demo von Stop Isolation. Hier spielen aber auch Kinder in den Wasserfontänen, essen Menschen Zmittag oder saufen sich die Birne weg. Exponent*innen der SVP scheint der Platz besonders wichtig zu sein. Im Bezug auf die Besetzung fordert Imark die Enteignung, Glarner stänkert gegen Klimakommunisten und Schmid will Blut sehen.

Bollwerk, Dienstag, irgendwann am Nachmittag. Das Bild ist nicht neu, ein Stand-off, Polizei vs. Demo. Die Demo von Stop Isolation versucht seit Beginn um Zwei auf den Bundesplatz zu kommen. Die KaPo macht zu, setzt Pfefferspray ein, ein Mensch ist schon im Spital. Am Schluss landet die Demo wieder beim Bollwerk. Der Wasserwerfer schiesst Regenbogen in die Luft, irgendwo drunter eine Sitzblockade. Trommelkonzerte auf Mülleimern, immer wieder Ansprachen. Die Ausdauer lohnt sich: Stetig kommen mehr Menschen vom Bundesplatz, solidarisieren sich, bis am Schluss die Polizei am Bollwerk eingekesselt ist. Diese schiesst sich mit 40mm-Gummigeschossen und Wasserdruck den Weg frei und fährt davon, Richtung Lorraine.

Ein ungewohntes Gefühl: So etwas wie ein Sieg. «Flüchtlingsdemo gewinnt gegen Polizei» titelte auch kurzzeitig der Bund in seinem Live-Ticker. Wieder leuchten Augen. Ein Redner von Stop Isolation steht auf den Strohballen vor dem Bundeshaus. Wir schreien es an und für einmal fühlt sich das echt an. Vielleicht ist das hier, gerade jetzt, doch das Herz der Stadt.

Bundesplatz, Mittwoch, morgens. Die Besetzung wurde in der Nacht geräumt. Für einen kurzen Moment aber hat sich die Macht verschoben. Der Klimastreik ist zurück.