Verweigerung statt Aussage

Valentinstag. Zeit, über die Liebe zu reden. Und über das pünktlich zum Tag der heteronormativen, toxischen Liebe erscheinende Album des Duos Cruise Ship Misery. Es heisst «Urteil» und handelt von aufreibenden Verhandlungen, Justizvollzug, Stacheldraht und: von deiner Mutter. Mundart Vaporwave-Pop direkt aus dem Verwaltungsapparat von Bern City.

Gibt es sie überhaupt noch, die Liebe? Oder wurde sie längst zu Tode bürokratisiert, ist sie längst nicht viel mehr, als ein geschlossenes Schalterfenster, der Signalton eines Anrufbeantworters, eine Rolle Stacheldraht, gezogen zwischen dem romantischen Du und dem stagnierten Ich, mitten durch das müde Uns hindurch, ein endloser Prozess aufreibender Verhandlungen und: Sex, der inzwischen auch nicht viel mehr ist als ein gut geplanter Marketing-Coup, verkommen zu einer grossflächigen Werbung auf dem Nachtbus.

«u we di susch niemer abschleppt
steit ufem nachtbus
u es isch werbig»

(aus: Stacheldraht)

Kann man das überhaupt noch sagen, dieses ich liebe dich, diese vergifteten drei Worte? Oder bleibt man vielleicht besser beim routiniertem Ficken und danach ein kurzer Anflug von Zärtlichkeit, wenn das romantische Du neben dem stagnierten Ich im Bett liegt, nackt und Zigaretten rauchend und das einzig mögliche Geständnis ist jenes, dass dieses eine postkoitale Moment situativ grad schon ganz ok bequem sei. Dieses Geständnis, in seiner Flüchtigkeit viel mehr eine Verweigerung als eine Aussage, ist kaum ausreichend für ein Urteil, also richtet man sich ein, in diesem Flimmern zwischen Unverbindlichkeit und Verhandlung und flüchtet sich zurück in den Alltag, zurück ins Büro, auf den ergonomischen Bürostuhl hinter dem gepanzerten Schalterfenster, den Stacheldraht hochziehen, den Anrufbeantworter einschalten, die Schleusen schliessen und die Schlösser auch. Scheisse.

«scanner
schlösser
schleuse
schliessfächer
panzerglas
scheisse«

(aus: Scanner)

Während das romantische Du mit deiner Mutter beim Mittagessen ist, wartet das stagnierte Ich seit 47 Minuten auf eine Antwort im Chat und mit jeder Minute wird der gemeinsamen Liebe eine weitere Bedingung hinzugefügt, ein weiteres Formular, das man sich später durch die kleine Lücke unten im Schalterfenster zuschieben wird, von hinter dem Schalter rüber in die kühle Halle mit dem chinesischen Importstein, auf welchem sich die Gesichter spiegeln würden, schaute man denn runter, aber die Gesichter spiegeln sich nur im Glas zwischen dem romantischen Du und dem stagnierten Ich, die Stimmen verzerrt, verfremdet, müde.

«u dini mère isch nid guet binang
u zämä sy mir schlächt binang
i fühle mi hundert tuusig jahr alt
u mini ouge hänge im gsicht
wienes gwicht»

(aus: Schatte)

Milena Krstics Stimme auf «Urteil» hingegen ist überhaupt nicht verzerrt oder verfremdet oder müde, sondern glasklar und wach und manchmal ist es, als wäre diese Stimme ganz nah am eigenen Ohr, als könnte man den dazugehörenden Atem spüren, und dann ist es so intim, dass es wehtut. Dahinter oder darum herum Sarah Elena Müllers oldschool vaporwave Sounds. Und mittendrin diese kryptischen Texte: Bildhaft und berndeutsch, so lyrisch wie unverschönt, zwischen Verweigerung und Aussage. Und am Ende ist man sich nicht sicher: ist sie jetzt tot, diese sogenannte Liebe, wurde sie ersetzt vom Staatsapparat oder gibt es sie noch? Irgendwo hinter geschlossenen Schalterfenstern, nach Signaltönen von Anrufbeantwortern und hinter Stacheldraht.

Am 7. März ist «Urteil»-Plattentaufe im Rössli. Support machen Rapper und Lowlife-Romantiker Daif und für den Sound danach: The-electrifying-ménage-à-trois.