Vom Immer­weitergehen und Nichthierseinwollen

Konserven, Kontext, Konzerte. KSB schreibt monatlich über Musik und Pop entlang dem schönsten Irrtum der Welt.

Liebe Leila,

Wir treffen uns abends mit Schlafmangel und Wachmachern am Egelsee. Ich frage nach der Show von gestern Nacht, du öffnest eine Matedose und erzählst von Menschenmassen, langen Nächten, Adrenalin und Euphorie. Du drehst dir eine Zigarette, redest von Müdigkeit, vom pausenlosen Rumrennen. Es sei keine Überraschung, dass du an Krücken kommst, mit einem verletzten Fuss.
Ich habe dich im Dachstock gesehen und im Internet. Deine Stimme hat mich gepackt und deine Texte haben mich geschüttelt. Dein Gesicht kam mir immer bekannt vor, wenn wir uns von Zeit zu Zeit begegneten. Heute finden wir heraus: Vor etwa zehn Jahren besuchten wir gemeinsam den Gitarrenunterricht. Du sagst: «Ich habe deinen Mut zur Strassenmusik bewundert.» Nun spielst du mit Jeans for Jesus vor Tausenden Menschen mit Bass und Gitarre. Die Jeans seien eine Tür, eine Plattform für deine Texte, eine Einladung in die Musikszene. Auf meine Frage, was dich in dieser Szene erwartet, reagierst du unbeeindruckt. Du erzählst von Menschen mit normalen Problemen und langweiligen Krisen. Es sei doch nicht mehr als die Bühne, die Musiker:innen von anderen trennt – das sei beruhigend und gebe Selbstvertrauen. Du verspürst eine neue Selbstverständlichkeit: Junge queere Menschen nehmen sich Raum und die Bühne, unterstützen sich gegenseitig und feiern gemeinsame Erfolge, lancieren Themen rund um Privilegien, Queerness und psychische Gesundheit.

Du besingst in deinen Liedern «Gun to My Head» oder «Irrational» Traurigkeit, Schwere, den Tod. Jeans for Jesus sind ebenfalls traurig und verbinden das mit leichtfüssigen Arrangements. Die gegensätzlichen Stimmungen der Lieder seien nicht nur Teil deiner emotionalen Welt und deines Musikmachens, sondern ergänzten sich auch an Konzerten. Das erlebte ich im Dachstock auch so. «Leider bin ich mit Heartbreak einfach kreativer», sagst du. Wir reden darüber, inwiefern die Musik Menschen, die mit der Dunkelheit vertraut sind, einen Ort des Verstandenwerdens bietet und wann sie ein Weggehenwollen etabliert. «Meine Texte reden nicht vom Weggehen- oder Sterbenwollen, sie sprechen vom Nichthierseinwollen.» Über psychische Gesundheit zu schreiben und zu reden, sei wichtig, um in der Dunkelheit gesehen und verstanden zu werden.

Es ist schön dich zu sehen, dich zu hören und über dich zu schreiben. Viel Erfolg bei allem Weiteren, das dich bewegt, zwischen Jeans for Jesus und Leila. Und danke für deine Antworten zwischen dem Immerweitergehen- und dem Nichthierseinwollen.

Leila Surković ist momentan auf Festivaltour mit Jeans for Jesus. Danach will sie an ihrem Soloprojekt weiterarbeiten. Estelle Plüss ist Musikerin in Bern. Dieser Text erschien zuerst in der gedruckten Augustausgabe des KSB Kulturmagazins.