Wenn Attitüde zerfällt zum Corporate Design

Nicht schon wieder eine Boyband, denke ich, als ich den Punto-Keller betrete und in den treibenden Schliff der polnischen Band Lotto eintauche.

Aber dann denke ich sehr schnell nichts mehr, sondern stehe nur vor der Bühne und lasse mich zudröhnen. Die Dichte und der Sog dieser Band hat mich nach wenigen Minuten gebrochen und nach einer Viertelstunde flüchte ich mich auf eine Zigarette nach draussen. Majkowski, Rychlicki, Szpura, die Männer hinter den Instrumenten lächeln auf der Bühne kein einziges Mal. Stoisch und erschöpft sehen sie aus, aber doch ziehen diese Boys derart konsequent und tight durch, dass es wehtut. Dass es einen direkt reinzieht und man sich sofort komplett auflösen will. Einzig nach der Show, als der Applaus nicht abbrechen will, obwohl er angesichts des spärlichen Publikums dünn ausfällt, schleicht sich das eine oder andere verlegene Lächeln in die grauen Gesichter der drei Musiker. Man könnte meinen, dass ihre Gleichgültigkeit nur Attitüde sei, aber sie meinen es ernst: Es ist ihnen scheissegal. Es ist pures Anticharisma.

Nicht schon wieder eine Boyband, denke ich, nachdem ich mich durch das Publikum im ISC an den Bühnenrand gedrängt habe. Auf der Bühne steht Michael Fehr, classy und stilvoll, schwitzend, mit Whisky-Tumbler in der Hand. Hinter ihm und hinter den Instrumenten, tight as fuck: Schnellmann, Baumann, Troller. Es wird gelacht auf und vor der Bühne und hinter den Instrumenten. Hinter mir fällt eine Frau zu Boden und wird von umstehenden Gästen rausgetragen. Fehr bemerkt diesen Zwischenfall nicht. Er steckt mittendrin in seinen eineinhalb Stunden Show. Eineinhalb Stunden literarischer und musikalischer Feinschliff. Eineinhalb Stunden charismatische Attitüde. Jedes Detail an Fehrs Performance: Eine ausgefeilte Inszenierung seiner Bühnenfigur, jede Silbe und Geste sitzt perfekt, lückenlos die Körper- und Aussprache. Das Nippen am Whisky, das Abwischen des Schweisses von der Stirn, die Schritte auf der Bühne, die Ekstase. Und als ihm ein Fehler unterläuft, zwei vergessen gegangene Textzeile oder drei, wird auch das sofort zur Show. Es ist das popkulturellster aller Phänomene, diese perfekt inszenierte Bühnenfigur, charismatisch und so klar umrissen, dass Eindimensionalität gedeiht: Eine Fläche auf die sich beliebig projizieren lässt. Und wie sich der Künstler isoliert und komprimiert in der Bühnenfigur, zerfällt die Attitüde zum Corporate Design.

Später, in vertrauter betrunkener Runde, sage ich zu V., dass sie mit der neuen Frisur dem Typen von Bilderbuch gleiche und dann sage ich, dass der Typ von Bilderbuch grad einen Shitstorm am Hals habe, weil er sich in einem Interview rassistisch äusserte. Jemand meint, man solle es doch mal ein bisschen chillen und jemand anderes, dass dies doch der Logik dieser Band entspräche. Eine halbe Zigarette später bin ich aus dem Gespräch ausgeschieden und eine angespannte Diskussion zwischen Männern über Männerbands ist ausgebrochen. Wanda oder Bilderbuch? Darf man Wanda feiern? Verhält sich Bilderbuch zu Wanda wie Tocotronic zu Element of Crime? Das Gespräch endet damit, dass alle angepisst den Raum verlassen. Warum man jetzt angepisst ist, weiss ich nicht so genau, ich jedenfalls bin es, weil ich eine halbe Stunde geschwiegen und zugehört habe, wie Männer über Männerbands streiten. Und weil ich nicht weiss, ob ich nicht mitspielen durfte oder nicht mitspielen wollte und ob das überhaupt einen Unterschied macht. Resigniert hole ich mir noch ein Bier aus dem Kühlschrank und mein Handy aus der Tasche. Auf dem Display ein paar Mentions und eine Nachricht im Twitterchat:

Nicht schon wieder eine Boyband? Right: Samstagabend Omni Selassi und Vaselin And The Vapour an der Schwarztorstrasse. Und gegen das Wanda-oder-Bilderbuch-Dilemma hilft wohl nur eines: Kreisky am Sonntag im Rössli. Ist zwar auch eine Boyband, aber wenn Männer schonmal auf der Bühne stehen, sollte man sie ja supporten.