Where the Hell: Wichsen und weinen

Und dann seien sie fertig gewesen, am Donnerstagabend – haben auf dem Gelände Feuer angezündet und eine kleine Lichtshow gemacht, da seien die Tränen geflossen: Von dem Moment an wussten sie, jetzt kommt es gut. Das sagt Vale Brügger, bei Radio Fribourg näb de Spur und hier mit dabei, an der Kilbi 2021, die nach einem Jahr Pause und verpasstem Jubiläum nun im September stattfindet. Wir stehen im Kies und müssen uns orientieren, das Wetter tut so als wäre Sommer. Zu Beginn wirken alle etwas schüchtern, auf diesem Gelände, auf dem fast alles so ist wie sonst. Ein wenig näher zusammengerückt die Bühnen, etwas weniger Leute, ein bisschen mehr Schweizer Acts als sonst, und sonst einfach Kilbi, wie das so ist. Holzschnitzel, Cardinal-Bier, Coca-Cola-Sonnenschirme. Salamisandwich drinnen im Club, gebratene Nudeln, indisches Curry und Fischchnusperli draussen.

Angekommen ist es erst mal laut, verdammt laut. Wir rätseln über den Namen des Blasinstruments, das hier seinen Atem in alle Ritzen des doch überschaubaren Geländes bläst (es war dann eine Bassklarinette). Convulsif eröffnen die Hauptbühne, wir müssen uns erst mal setzen. Dann ein erstes Konzert im Zelt: Lalalar aus Istanbul, traditionelle Melodien modern aufgeputzt, treibende Synthies und Gitarre, eine Hochzeitsmusik auf Steroiden oder Kokain oder beides. Nur leider nicht besonders originell und ausserdem elend mackrig, wie der Sänger ständig seine Haare zurückwirft und tanzt, als würde er sich selbst dabei zuschauen, begeistert vom eigenen Hüftschwung. Wie sehr nervt es, sich dauernd zu nerven, über Gitarrenwichsen und orgasmische Grimassen ziehende Bassisten? Könnt ihr auch einfach mal etwas geniessen? Trotzdem gibt es diesen Moment, da zwischen Bar und einigen lang nicht gesehenen Freunden auf einmal die Tränen fliessen. Es ist schön.

Der erste Festivaltag fühlt sich wacklig an, etwas verhalten auch, viele sagen: Es ist so laut, bin ich aus der Übung? Aber das ist dann egal, langsam in die Nacht hineintrolen auch gut, und dazu sehr geeignet: Anika, zwei Stunden später im Zelt, eine schmale Gestalt mit einem Blick, als würde sie sich ganz woanders hin überlegen, in die oberen Ecken des Zeltes und darüber hinaus, man kann sagen: entrückt und ein Gefühl wie bei David Lynch – nur eine Spur verrutscht, aber das reicht für einen gänzlich irritierenden Eindruck. Obwohl das, was sie macht, vor allem gute Songs sind, hier gespielt mit einer sehr schönen und sehr entspannten Band. This song is about birds, this song is about sunday mornings, this song is about these special birds, pelicans. Die Stimme zwischen den Songs verschwindet jedes Mal fast im Hummelsummen von dutzenden Gesprächen im Festzelt. Wenn aber die weichen Schläger einen Rhythmus trommeln, Bass und Keys Melodie geben, verstummt das Getuschel. «We all have things to learn, about each other, about the world, about ourselves.»

Dinge lernen, über uns und über andere, die mit völlig anderen Lebensrealitäten konfrontiert sind und das wiederum zur Konfrontation machen für die Leute hier. Keine einfache Ausgangslage auf der Hauptbühne, gleich hinterher, Duma aus Nairobi. Sam Kurugu wirft elektronische Beats nach vorne, Martin Kanja schreit darüber, das ist Noise, Metal, Doom, Industrial, Techno alles miteinander, und wirkt trotz lauter Wut eigentlich ziemlich freundlich. Man hat das Gefühl, dass sich diese beiden mögen da oben auf der Bühne, wie sie einander gerade ungefähr gleich viel Raum geben, hin und her. Trotzdem eben auch schwierig, weil das Publikum Moshpit will und vielleicht dieses Jahr auch das Greenfield vermisst hat. Aber die Musik will das nicht so recht zulassen, ist unordentlich und bricht ab, bevor sich der Pit richtig formen kann, hat andere Interessen – die Energie wieder weg. Umgekehrt könnte man sagen: Dieses Durcheinander, auch das Unbefriedigtsein zum Schluss, das passt eigentlich ziemlich gut. Keine Lust, hier rund und besonnen wieder hinauszugehen.

Es ergibt sich auch eine Verbindung zu später: Duma ist beim ugandischen Label Nyege Nyege Tapes daheim, die wiederum DJ Marcelle, zur Primetime auf der Hauptbühne, zur «lifetime resident DJ» erkoren hat, und die mit ihren drei Turntables ziemlich geil und auch ziemlich humorvoll auflegt. Hier merkt man es vielleicht am deutlichsten, dass doch ein paar Leute fehlen, richtig voll wird es vor der grossen Bühne nie – auch weil natürlich geplappert werden muss und über den Platz geschwebt und Hallo gesagt in alle Richtungen, das braucht es eben auch.

Sowieso wird das Bedürfnis nach Enge oder Nähe, je nach dem, später im Haus eingelöst: NVST und Mona schiessen ein paar Vögel ab bis frühmorgens, gut gelaunt das Publikum und gut gelaunt auch diese beiden, die ihren Acid Techno so lustig auflegen, dass man mit Hüpfen wirklich nicht aufhören kann. Und doch will einen das wacklige Gefühl bis zum Schluss nicht ganz loslassen. Trotzdem sind wir sehr glücklich, als wir uns nach Sonnenaufgang irgendwo auf ein Feld legen, um ein paar Stunden zu schlafen.

Where the Hell: KSB ist dieses Wochenende drüben in Düdingen und berichtet von der Bad Bonn Kilbi. Videos zu diesem Beitrag werden später nachgereicht.