Wie wir viel geraucht haben etc.

Vielleicht schreibe ich noch was fürs KSB. Wie wir viel geraucht haben etc.

An diesem Sonntag wie immer, wo man befürchten muss, dass einem Insekten aus dem Mund fallen, wenn man ihn zu weit aufreisst. Wo man nicht weiss, ob man die Leute umarmen darf, weil sich das wie ein hygienischer Übergriff anfühlt, soviel Dreck hat man wieder auf sich, unter den Fingernägeln und in allen Hosensäcken. Ein Sonntag mit Konzert. Bad Bonn: eine gute Beiz und besser noch, man wird in Rihs‘ weinroter Aufschneiderkiste hingeschaukelt, während die Welschen auf der frankophonen 3 irgendwas Frivoles zu verzapfen wissen.

Ich hätte jetzt gerne eine Pizza Margherita und einen Rollstuhl. Aber keine Zeit bleibt fürs Installieren: «Babbonn Babbonn !! Ohoh», Priscitouf The First, wie sie plötzlich dasteht auf der sehr breiten Bühne, die sie mit Leichtigkeit ganz ausfüllen kann, fuchtelt mit ihrer Rassel in der einen und dem Mikrofon in der anderen Hand und schmettert ihren Jargon wie Steine ins verzückte Publikum. Eine Art Freak-Rap, formal und rhythmisch verworren, multilingual, kolossal, exzentrisch, lustig und Schwarz – da ist viel Politik und Schmerz zu vermuten in dieser Kunst, aber auch viel Freude am Wörterballern, Wörter, die tanzen können («that‘s how we do down in Geneva») und für einen sonntags ganz und gar bleichen Berner Bub unverständlich bleiben, verschlüsselt – und doch mitten ins Herzmotörchen treffen. Oder in den Magen. Alles schon einmal zerzaust und es ist noch nicht einmal acht. Vergessen der Hunger auf Pizza Margherita, man hat jetzt Priscitoufs Klötze im Bauch und leert vom Cardinal darüber und ein paar Schlote dürfen natürlich auch verrauchen. Ob das nicht längst genug zum ersten Advent, wo die Fussballer schlecht spielen und dafür ein Furz Vernunft durchs Bundeshaus flattert? Man könnte ja auch einfach heim.

Aber dann hätte es einem nicht die Sprache verschlagen können. Also muss, was dann passiert ist, mit einer verschlagenen Sprache aufgeschrieben werden –

wie die Engelstrompete, die kosmische Gitarre und die drei rhythmischen Gebrüder, zweimal Schlagzeug, so kleine geile Jazzwichser-Schiessbuden, hinter denen sie sich ineinander ver-leiben zu einem Dreidimensionalen samt Elektrobass, ein verrückter, schnaubender Apparat mit der Feinheit von Samt – wie die alle zusammen die Knochen der Schwarzen und weissen Gegenkultur auskochen und die Sache erst richtig eindickt, anzieht. Dann muss man vielleicht Halleluja schreien oder: Fick die Polizei, das nur einer von hundert aufrichtigen Sätzen, die der kleine Rapper von sich gibt, Pink Siifu heisst er, dem kein Wort zuviel über die Lippen geht und rundherum seine Mannschaft, the Negro 6, auch das tut schön weh und genauso stolz spielen sie ihr Ding: Hardcore bis zum Blastbeat und der Jazz, der freie, ein feinmaschiger, kühler Soul und darin Zeilen, Schreie, Bruchstücke, die Einbrüche einer Hyperrealität und ein von Klugheit bekiffter Rap ganz ohne Sport, ohne allzuviel Garderobenschweiss. Und kein Eklektizismus: Das gehört alles zusammen und klingt zusammen in einer schockierend gegenwärtigen Musik, während die Negro 6 mit den Stiefeln im Boden davonfliegen, jedes Paradoxon der Welt nachgibt, laut und leise, im Weltall verblasen und mitten in die Fresse scheinbar gleichzeitig passieren, es für eine Stunde und fünfzehn Minuten so etwas wie Gerechtigkeit geben könnte: Nur die Polizei gehört unbedingt gefickt. So hats dem Schwab eben die Sprache verhauen und er fragt sich, in welche Richtung er jetzt losrennen soll, wen zuerst anrufen, was zuerst anzünden (oder einfach abdanken) und Galizia liegt selig zusammengefaltet auf dem Bänkli in der Ecke und sieht Sachen. Rihs hat sich sein Tuch in schamanischer Art über den Kopf gebunden, was immer ein gutes Zeichen ist. Und was machen die anderen zerstreuten Musikjournalisten im Saal? Benedikt Sartorius leuchtet unter seiner Kappe, der könnte das wohl besser abfassen, noch auf dem Heimweg kurz vor Flamatt eiskalt ein Feuilleton abliefern. Doch das Schlusswort gehört heute Valentin Brügger, dem Ehrenmann von Radio Fribourg: «Es war, als herrschten sämtliche Aggregatszustände gleichzeitig, was da brodelte, schon wieder verdampfte, sich verfestigte.»