Wieder einmal arbeiten

Ohne Schwung macht es auf der Schaukel keinen Spass. «Papa, anschieben!», aber Papa ist nicht da. So fühlt sich das an heute Morgen. Aber immerhin ist da der Lastwagen und nach erstem Murren vom Anlasser springt dann doch der Funke zum Sechszylinder – am Montag versuchen sich schliesslich unsere Beizen an der Wiedereröffnung. Oder heisst es Widereröffnung?

Erste Station Burgunderbar, wir kommen ins Gespräch. L. erklärt mir ihr Vorhaben bezüglich der Abtrennungen. Sie ist am Basteln. «Ich mach das ganz pragmatisch mit so einer Art Folie, ein bisschen wie ein Duschvorhang – weil Plexiglas kostete mich über den Daumen gepeilt 5000 Stutz und so, naja, komm ich für 150 Franken weg. So werden wir etwa 20 Personen bedienen können, plus dem Tischchen draussen. Mal sehen wies wird, aber sicher gut, kommt da wieder Leben rein.»

Wieder im Hellen quittiert mich der Barbier von nebenan mit einem lieben Gruss, ich soll doch mal die Haare schneiden lassen kommen, das sähe ja aus –

Ähnlich gestaltet sich das Bollwerk und die Innenstadt, alles freut sich spürbar der kommenden Bewegung. All der Stauung geschuldeten, aufgekochten inneren Komplexe der letzten Monate satt – und mir vergegenwärtigt sich ein Evergreen aus dem Haushalt: Staubsaugen macht am meisten Laune, wenn gerade der Gang zum Postschalter wegen diesen Rechnungen anstünde. Ich frage mich, ob denn Arbeiten nicht vielleicht die legalste Weise der Prokrastination darstellt. Oder spiegelt diese selige Geschäftigkeit nur unseren Gedankenfluss, dieses zufällig irrige Plätschern, das uns so wohltuend sediert, im Unterschied zum konzentrierten Denken?

D&D vom Kapitel relativieren, es geht auch um Existenzielles: «Uns gehts zum Glück nicht so schlecht, wir haben im Team eine gute Stimmung und mit dem Crowdfounding-Geld kommen wir sicher bis zum Herbst. Wenn aber die Clubsaison aussetzt, ja, dann wirds kalt. Und es wäre schon bitter, wenn bis dahin all das Geld unserer Community nur in Füdlispalten von Füdlispalten fliessen würde. Dass der politische Entscheid um eine Mietsistierung nun wegen modaler Unstimmigkeiten in die Sommersession vertagt wurde, ist schon sehr, sehr schade.», «Ok, ich muss weiter, aber ja, auf jeden Fall, das ist eine Sauerei!», sage ich – «Wart noch schnell Urs, du hast immer noch deinen Kopfhörer bei uns und eine ausstehende Gage und nimm doch gleich noch so einen Davoser mit, die sind über von der Deko im Raclette-Zelt auf der Schütz, den kannst du sicher brauchen.»

Ich habe jetzt auch eine gute Stimmung in der Kabine, direkt über dem heissen Motor und mit dem Schlitten – ein Monteur, der gegenüber auf dem Flachdach des U-Haft-Gefängnisses steht, mir zusieht und da Schläuche in ein Loch in der Wand quetscht, schüttelt nur den Kopf. «Glaub mir, es sind bald noch eisigere Zeiten, also lass doch gleich das Loch offen!», rufe ich und rumple davon.

Zur Lesbar. In der Münstergasse flötet sich ein ganz spiessiges Liedchen zu mir durch. Vor grosskotzigen Audis stehen drei Tenore: «Du, das hat mich sicher 30 bis 50 000 Tausend gekostet, wenn ich das hochrechne, aber wisst ihr was? Was solls! Ich reg mich gar nicht auf.», der Nächste, «ja, was willst du, dafür hast du ja auch kein Geld ausgegeben, also für Essen und Trinken, aber sonst fiel ja alles flach für uns.» der Schlechteste: «Susanne und ich waren sowieso fast die ganze Zeit in Rougemont, da hat man auch kaum etwas gemerkt.» und das Ganze da capo al fine.

Wann zum Teufel ist das eigentlich genau passiert, dass Eigentum zu Besitz wurde, ein zinsfreies Daheim zum Privileg und die ganze Debatte darum politisch? Anstatt selbstverständlich im Sinne von umgekehrt: ein gesicherter Herd als notwendige Bedingung dafür, überhaupt politisch werden zu können – sich gemeinschaftlichen Fragen anzunehmen.

Und warum steht das hier nur auf meiner Harasse und nicht an den verdammten Sandsteinmauern?

Zu Da Nino muss ich noch etwas Cider abwerfen – und da würfelt sich ein Yahtzee. Auf dem Trottoir steht er tatsächlich, in seiner ganzen postisolierten, aufgedunsenen Pracht, in halbsteifem Hemdchen und neben einer Unsäglichkeit von heutigem Mercedes. Er druckst gerade etwas von wegen: «Gemeinsam eine Lösung finden, dafür steh ich ein», als ich aus dem Wagen steige. Er spricht wohl zu einem zukünftigen Mieter.

«Wie war das bitte! Ich entschuldige mich der Einmische, aber Herr Hess, wie können sie so etwas guten Gewissens posaunen! Ihre Partei hat gerade massgeblich dazu beigetragen, eine Lösung bezüglich mindestens einer Zinsreduktion von Lokalmieten – einem klaren Begehren aus ihrem Volk – in den Kammern zu verunmöglichen. Dabei hatte sie dem Gastrogewerbe erst Rückhalt geheuchelt, indem sie auf die Wiedereröffnung drängte. Wie können Sie so etwas verantworten?», «Ich bin da ganz und gar liberal eingestellt.», «Ja, aber ich habe gefragt, wie können Sie so etwas verantworten.», «Ich verstehe die Frage nicht.»

Wo er recht hat – mein Yahtzee zerfällt zur kaum zweistelligen Chance. Es ist keine Frage. Es ist Gesetz.

Frau Arendt schreibt in «Der private Bereich: Eigentum und Besitz»:

Was wir heute Gesetz nennen, bedeutete zumindest bei den Griechen ursprünglich so etwas wie eine Grenze, die in früherer Zeit ein sichtbarer Grenzzaun war, ein Niemandsland, das jeden, der überhaupt Jemand war, umschloss und einhegte.

Und somit alle schützte – nur dass heute viel weniger Jemand ist. Nur wer hat, ist – rechtlich gesehen – und die Summe des Schutzes teilt sich auf zwischen den verbleibenden Jemands. Sie werden diese Grenze über den Tod hinaus mit ihren Erben zu verteidigen wissen, sie werden dafür nicht predigen müssen – es wird ganz von alleine gehen.

Und Erich rauscht davon, ganz konkordant, ganz stolz, ganz fest im Sattel – mir fehlt der Biss.

Zum Glück bleibt nur noch eine Adresse. «Können Sie mir das Wasser in den Keller tragen?», fragt Frau S. irgendwo an der Lentulusstrasse durch einen Gegensprecher, «ich komme gleich runter und zeige Ihnen, welches da mein Abteil ist.» Für eine Minute kann ich meinen Rücken dehnen und ich bemerke dabei den tiefen Frieden, der in diesem Quartier summt. «Ui, das sieht mir aber nach einem Krampf aus.», sagt Frau S. in ihrem Lagerraum und als wir wieder oben sind, kommt sie bis mit zum Lastwagen. «Stimmt alles so?», frage ich und schaue auf den Lieferschein, «Wissen Sie, ich muss Ihnen jetzt einfach noch ein bisschen zuschauen, wie Sie da alles wieder einladen, in das Auto. Ich habe schon lange keine so angenehmen Bewegungen aus dem Schwung heraus gesehen – Schaffen ist so etwas Schönes.», «Ok, kein Problem», sage ich und hoffe seltsamerweise, dass das ein bisschen stimmt.