«Wir sind die Second-Hand-Jacke unter den Pornos»

Mit Oil Productions im Thermalbad: ein Gespräch über den
Dokumentarfilm «Ardente.x.s» und queerfeministische Pornografie,
Verletzlichkeit und das Rituelle in der Sexualität.

Aus einem überdimensionierten Wasserhahn strömt 47-grädiges Thermalwasser ins geplättelte Bad. Mir ist es längt zu heiss, als Julie, die den Hahn geöffnet hat und direkt daneben sitzt, fragt: «C’est assez?» An der Wand über uns entleert eine faustgrosse Kugel ihren schlabberigen Inhalt auf eine Vulva – Alizée hat ein Rezept für die Bubbles, die sonst im Bubble Tea schwimmen, gefunden. Die zwei Menschen im Licht an der Wand dürfen, was viele andere sonst im Solbad heimlich versuchen: einander im heissen Wasser verwöhnen. Und zwar in ebendiesem Bad, in dem wir nun sitzen. Es befindet sich im Bagno Popolare – Bad zum Raben in Baden, wo am nächsten Tag die Ausstellung Sexy Baden stattfindet. Julie Folly, Alizée Quinche und Olivia Schenker vertreten dort das Kollektiv Oil Productions, das queere Pornos mit ethischem Anspruch produziert. Der Dokfilm «Ardente.x.s.», der im Winter in die Berner Kinos kam, gibt Einblick in die Arbeit des Kollektivs: Die Westschweizer:innen wollen neue Bilder von Sexualität schaffen.

KSB: Ihr macht Pornografie, eure Filme lösen aber nicht ein, was man von Mainstreampornos erwartet.

Julie: Ich glaube, der primäre Zweck von regulären Pornos ist Masturbation. Und dafür werden sie auch gemacht. Doch sie haben auch immer einen pädagogischen Aspekt. Den wollen wir nutzen, wir möchten zeigen, was es sonst noch gibt in der Sexualität.

Alizée: Manche Alternativpornos, auch ein paar von Oil Productions, sind ausserdem abstrakter, sie haben visuelle Elemente, die man in Mainstreampornos selten findet. Da kann es sein, dass man in einem spezifischen Effekt zwar nicht Material zum Masturbieren findet, aber sonst etwas, das einen auf irgendeine Art stimuliert.

J: Zum Beispiel das Licht – manchmal dachte ich, das war wunderschön, das Licht in dieser Szene. Das kannst du bei Mainstreampornos selten sagen.

Welchen Schwierigkeiten begegnet ihr bei der Repräsentation von queeren Menschen, Körpern und Identitäten?

J: An manchen Anlässen hatten wir den Eindruck, die Freak Show zu sein. Andere Male mussten wir für Pinkwashing herhalten an Orten, die nicht queer sind, aber queere Inhalte zeigen müssen, weil sie sonst gecancelt würden.

A: Wenn wir unsere Filme an Orten zeigen, die nicht an Queerness gewöhnt sind, kann das unangenehm bis gefährlich sein – und zwar nicht nur für uns. Das bringt Verantwortung mit sich. Wir müssen etwa bedenken, dass wir queere Personen im Publikum in unangenehme Situationen bringen könnten.

J: Grundsätzlich werden unsere Filme aber gut aufgenommen, auch von einer breiteren Öffentlichkeit.

Ihr bezeichnet eure Pornos als ethisch: Auf euren Sets sollen sich alle Beteiligten wohl und sicher fühlen, Grenzen werden respektiert und die Performer:innen können jederzeit die Veröffentlichung einzelner Szenen oder des ganzen Films abwenden. Wie bereitet ihr euch unter diesen Umständen
auf einen Dreh vor?

Olivia: Wir arbeiten stärker als früher mit Skripts. Die sind nicht fix, enthalten aber Vorstellungen von Szenen und Handlungen, die wir gerne filmen würden. Es kommt auch stark auf die Personen an, mit denen wir arbeiten.

J: Bei den vergangenen beiden Drehs haben wir bemerkt, dass die Performer:innen manchmal verloren waren und etwas brauchten, woran sie sich festhalten konnten. Darum schlagen wir etwas vor und passen das dann an die Wünsche der Performer:innen an. Die vergangenen Male haben wir im Voraus unsere Absichten bezüglich visueller Ideen, Kamerabewegungen, der Energie zwischen den Personen gemeinsam besprochen. Vieles haben wir aber offengelassen, was dann vom Ort, den Fantasien und Lüsten beeinflusst werden konnte.

O: Letztens hatten wir zum Beispiel die Idee, einen Greenscreen zu verwenden – das war kein einfaches Setting. Das war gewissermassen ein Nicht-Ort, ein Raum mit nichts als Bergen von Gleitmittel: Die drei Performer:innen waren darauf angewiesen, dass wir sie anleiteten. Eine von ihnen kam mit einer Liste mit allem, was sie mochte, an. Diese vier Seiten Aufzählung halfen, die ganze Equipe zu leiten.

Was ist nach dem Dreh, kann diese Sicherheit bestehen bleiben, egal, wo der fertige Film gezeigt wird?

A: Wir haben inzwischen auch Orte ausprobiert, wo nicht nur unsere Community ist oder auch Leute, die ganz andere Vorstellungen haben. Mir macht es aber mehr Spass, neue Orte innerhalb der Community zu entdecken, wie zum Beispiel das Bagno Popolare – ich wusste gar nicht, dass es das gibt.

J: Dieser Aspekt, sich ein bisschen wie die Freak Show zu fühlen, als Token für die Queerness eines Festivals oder eines Orts verwendet zu werden, macht mich verletzlich. Es löst den Reflex aus, mich in meine Bubble zurückziehen zu wollen. Durch diese Fragilisierung habe ich verstanden, wie wichtig es ist, eine Gemeinschaft zu haben. Am Anfang war ich nicht so la communitariste, ich dachte, ich würde meinen Weg allein machen – jetzt merke ich, wie essentiell Personen um einen herum sind, die einen verstehen. Trotzdem müssen wir uns überlegen, wie wir von Zeit zu Zeit eine Brücke zur Mehrheitsgesellschaft schlagen können. Manchmal habe ich Lust, das zu tun, aber längst nicht immer.

A: «Ardente.x. s» ist ein gutes Beispiel dafür. Ich glaube, der Film schafft es, diese Brücke zu schlagen.

Im Gegensatz zu Mainstreampornos werden eure Filme an Festivals gezeigt, man spricht offen über den eigenen Pornokonsum, denn er weist einen als feministisch, aufgeschlossen und sexpositiv aus. Wie erklärt ihr diesen Unterschied?

A: Ich glaube, das ist ein bisschen wie mit Kleidern: Wenn ich bei Zara eine neue Jacke kaufe, werde ich nicht damit angeben. Bei Pornos ist es ähnlich: Man hat ein schlechtes Gewissen, sie zu konsumieren, weil die negativen Aspekte, die Ausbeutung, die dahintersteckt, inzwischen bekannt sind. Wenn man weiss, wie sie produziert wurden, kann man das schlecht ausblenden.

J: Du hast Recht, wir sind die Second-Hand-Jacke unter den Pornos.

Einer eurer Filme heisst «Ritual», eine Performance, die auch in «Ardente.x.s» zu sehen ist. Darin kommen religiöse Motive vor. Was interessiert euch an der Verbindung von Ritual und Sexualität?

O: Esoterik, Tarot, der Regisseur Alejandro Jodorowsky und seine Filme – das waren Themen, die Méli sehr faszinierten (Mélanie Boss, ehemaliges Mitglied von Oil Productions mit einer wichtigen Rolle in «Ardente.x.s», Anm. d. Red.). In beiden Fällen, sowohl bei «Ritual» als auch bei der Performance im Arsenic in Lausanne, ging es darum, etwas aufzulösen, zu klären. In der Performance gab es diese Verbindung zum Tod, sie endete mit grosser Trauer. «Ritual» entstand nach einer Zeit, in der Méli während etwa zwei Jahren keine sexuelle Beziehung mit einer anderen Person führte, darum hatte dieser Film durchaus auch etwas Kathartisches.

A: Für mich hat das viel mit veränderten Bewusstseinszuständen zu tun. Sexualität bringt mich in Zustände, in denen ich wirklich weit weg sein kann. Das geht beides zusammen: so sehr mit sich selbst verbunden und gleichzeitig woanders sein. Musik und Sexualität sind für mich die wichtigsten Mittel, um in diese tranceartigen Zustände zu gelangen.

J: Da rede ich für mich, nicht fürs Kollektiv: Das Rituelle liegt darin, den Fokus auf diese Verbindung zu sich selbst und dem eigenen Empfinden zu legen. Es geht nicht darum, den Moment zu sakralisieren, aber…

O: …eine kosmische Verbindung einzugehen vielleicht?

«Ardente.x.s» endet mit der Ungewissheit, wie es bei euch weitergeht. Morgen zeigt ihr an der Sexy Baden einen neuen Film, es gibt euch offenbar noch.

J: Viele Mitglieder hatten Lust, andere Dinge auszuprobieren: Manche haben das Kollektiv verlassen, andere leben nicht mehr in der Schweiz, machen aber am neuen Ort weiter, neue Mitglieder sind dazugestossen. Wir arbeiten inzwischen anders, probieren andere Formen aus, gehen neue Kollaborationen ein. Ich glaube, wir sind verspielter geworden.

Dieser Text erschien zuerst in der Januarausgabe des KSB Kulturmagazins.