Worauf wir bauen

Nicola Walsh schaut einem Leben beim Verdampfen zu.

In der schattigen Grueb, wo der Schnee gerne bis in den Mai hinein reicht, bauen wir ein Haus um. Von Fichten und Nordmanntannen versteckt, liegen da zwei Hektare Hang zur Pacht bereit. Ganz in der Nähe davon wohnt Länggi, ein alter Sägemeister, der mich nur selten grüsst. Seine Hunde springen manchmal an mir hoch, machen die Unnahbarkeit ihres Meisters wett. Während ich am Sägewerk vorbei den Schotterweg hoch spaziere, lese ich erneut den Ruf, dem ich an diesem Samstag ins Oberland folge.

«Hi, Hausaction 1 steht an – ausweiden. Benötigtes Material: Brecheisen. Hast du Zeit&Lust? bighug»

Auf Höhe der Holztrocknungsanlage, einer Art Garage, in der die Holzbretter gestapelt werden, fällt mir Länggis Katze ein. Vorletzten Sommer hatte die sich in dieser Anlage zwischen die Bretter verirrt und war darin elend vergangen. Nur eine steife Hülle war geblieben, als alles Leben verdampft war. So ähnlich stelle ich mir das vor für das alte Haus – alles raus. Von innen her entleeren.

Die ersten Latten vom Täfer reisse ich euphorisch von den Balken. Neben mir kniet Gino, der demselben Ruf gefolgt ist, und hebelt die Bodenleisten raus. Ich bin wahnsinnig aufgeregt, einerseits weil mir der Abriss als Tätigkeit auf diese Weise neu ist, andererseits weil ich nicht weiss, was hinter den schütteren Brettern auf mich wartet. Ähnlich wie beim Holzen, wenn die Spaltmaschine mit zehn Tonnen Druck den Stamm aufsprengt und sich die duftenden Fichtenfasern auffächern. Reine Struktur, schönes Material, aber weiter nichts los, saubere Routine, keine Überraschungen – ganz anders auf dem Dachboden hier in der Grueb.

Hinter dem Täfer liegen die zerfressenen Reste der Glasfaser-Isolation. Die Viecher haben kaum was von der gelben Wolle übriggelassen. Stattdessen nieselt mir Maus- und Marderkacke ins Gesicht. In einer Ecke hinter einen Balken geklemmt finde ich einen staubigen Stoffhasen, der mit Nusshülsen bedeckt, aber nicht angefressen ist. Als hätten die Nager auch einen Begriff vom Bauopfer. Ein unheimlicher Fund, sind doch solche Stofftiere im Mauerwerk eine Art Gabe an die Hausgeister, um das Bestehen des Bauwerkes zu sichern. Wenig später wieder etwas Gelbes, ein Knäuel im Schutt am Boden. Solider Karton, matt und rau, «PARISIENNES Fr. 1.60» steht drauf. Aus der Zeit gefallen wie das «S» am Schluss und ich frage mich, wer die Letzte davon wohl ausgedrückt hat. Plötzlich ist da eine weitere Dimension, ein Richtwert. Kurz darauf offenbart sich mir eine mögliche Antwort auf meine Frage nach dem Wer, vor allem aber nach dem Wann.

«Am 10.05.86 um 12.50h alle Füllungen beendet. Ottmar B. Gott segne unser Bijou und alle die da gehen ein und aus» steht mit dickem Bleistift schwungvoll auf der Rückseite eines Bretts geschrieben. Ottmar B. hat jene Wände hochgezogen und verdichtet, die ich gerade abreisse. «Was der wohl zum Umbau sagen würde?», fragt mich Kathrin, die jetzige Mitbesitzerin. «Ist eigentlich egal, wir bauen uns schliesslich ein Zuhause», meint sie, bevor ich etwas sagen kann und scheint dabei froh, dass sich die Enge der alten Ordnung verflüchtigt, je mehr Wände wir rausreissen, desto mehr Staub wirbeln wir auf.

«1986», meine ich beim Mittagessen, als wir Gulasch in uns reinschaufeln. Auch Gino versucht sich zu erinnern und alles was mir dazu einfällt, ist mein Vater, der in jenem Jahr am Fusse des Gotthardmassivs in irgendeiner ähnlich ausgeweideten Hausattrappe aus Beton zum Grenadier ausgebildet wurde. Es lächert mich ab dem Gedanken – ich mit Staubmaske und Marderkacke in den Locken, er mit Gasmaske und Tarnschmiere im Gesicht, leisten beide unseren Dienst. Er mit dem Stgw 90, ich mit dem Geissfuss. «Tschernobyl, natürlich», holt mich Gino zurück an den Esstisch, «da war ich sechs, die erste Krise, die ich bewusst miterlebt hatte.»

Am Nachmittag fällt auf der Ostseite weiteres Täfer runter, Kathrin legt dabei die originale Bausubstanz frei. Der Strick im Schwalbenschwanzverband ein anachronistisches Element aus dem Blockbau, wie sie mir erklärt. «Du kennst doch sicher Blockhütten aus runden Baustämmen. Das hier ist das Gleiche nur mit eckigen Balken, die zugeschnitten und verkeilt werden. Macht heute niemand mehr, vielleicht mal für einen Tisch, aber keine ganzen Häuser, viel zu aufwändig.» Die verkeilten Winkel sind beständige Handwerkskunst – komische Schule, die das hinter Täfer verbergen wollte.

Gegen Abend sitzen wir auf der Bank neben dem Haus, rauchen und schauen erschöpft auf zehn Kubik Schutt. Was haben wir herausgeschält an diesem Samstag, aus dem Gebälk und unseren Oberstuben? Aus dem Abriss und den Löchern – es wurden uns Verletzungen bewusst, alte Konformitäten. Und wir haben zu erzählen begonnen. Keine Götter und keine Geister, aber die Besinnung, worauf wir bauen und womit wir weiterbauen wollen.