Wort zum Samstag

Nichts ist süsser, als sich abzuheben. Im Unterschied zu euch, finden wir unser Wir – der Wille zur Distinktion ist der Motor unseres gottlosen Daseins.

Mit der Investition in ein Spiel, mit seiner Besetzung und mit der Anerkennung, die der Wettbewerb mit den anderen bringen kann, bietet die soziale Welt den Menschen, was ihnen am meisten fehlt: eine Rechtfertigung ihrer Existenz.

Das schrieb Pierre Bourdieu einst in «Die feinen Unterschiede», einem seiner Hauptwerke. Dem Wunsch als unterschiedlich wahrgenommen zu werden, schwingt der Verdruss über den Tod Gottes nach. Der Sinn und die Demut sind flöten gegangen – darum beten wir nicht, um Frieden zu finden. Darum schreiben wir, spielen wir Musik, machen Karriere, gehen auf die Strasse oder was zum Teufel auch immer.

Das Fenster hin zum Bärenplatz steht offen, die Nacht ist verraucht und von den Mittelchen bleibt nur noch, was dumpf macht. Draussen kondensiert gerade unser aller Albtraum. Ein Umzug unheiligster Allianzen zieht sich zusammen. Permakultur-Milizen, Strahlungsempfindliche, Alubehütete – Ruth Dürrenmatt. Eine Gewitterwolke kaleidoskopischer Formenpracht – gegen die dort oben im Bundeshaus. Der Vorderste vom Sturm trägt tatsächlich einen Führerschnauz.

Wir sitzen zu Tisch und hören nur Lärm.
In uns windet sich alles,
in den Sozialen Medien schreits.

Wir sollten ihnen dankbar sein, den Verwirrten. Sie fordern uns zur Besinnung. Auf Facebook krachen die Bücherrücken – kristallin gewordener Leim marxistischer Taschenbücher bröselt von den Bildschirmen. Wer bricht dieses Häufchen, um sich davon distanzieren zu können, als erstes auf einen heruntergekürzten Nenner?

Die Deutungshoheit über den performativen Raum der Demo zu verteidigen. Schliesslich vergisst man nicht, wie kraftvoll einig links das war, an den Antifaschistischen Abendspaziergängen, zu ihren Hochzeiten, in den Nullerjahren. Es ist denn auch die Trauer um die Unverfänglichkeit. Um die klaren Verhältnisse.

Wir würden jetzt gerne in Wasserballone seichen, an diesem Nachmittag, die Demonstrierenden vom Turm aus mit unserer Ablehnung taufen. Aber etwas verklemmt uns den Mittelstrahl. Ob es uns beliebt oder nicht, so spiegeln sich in ihren Gesichtchen leider auch die unseren.

Heuer mehr denn je, wandelt der hybride Konsument – anything fucking goes. Im Coop hängt zwei Meter neben dem Kobe das Prix Garantie Schnitzel, der Topmanager kauft Migros Budget Socken, wir saufen Anker Bier und danach Champagner von der Veuve Clicquot. Warum sollte es nicht auch den hybriden Demonstranten geben? Könnten nicht auch von uns stehen da unten?

Alles geht mit allem – jetzt auch auf der Strasse. Diese sprichwörtlich Verirrten formieren sich zur Demonstration dessen, was sich in unserem Habitus längst schon festgesetzt hat. Nur dass es uns als Linken hier am wenigsten gefällt. Der Protest auf der Strasse – unsere heilige Kuh, unser Nikotinpflaster gegen den Entzug der Verbundenheit in einer Zeit, wo alle Identität als Bewegung verkocht ist, zu einem müden Mus an bis auf den Kern geriebenen Einzigartigkeiten.

Die Einigkeit – das notwendige Yang zur Abgrenzungslust und Fetisch unserer zerlegten linken Conditio. Es hat sie nie gegeben, sie ist ein nach hinten projizierter, frommer Wunsch. Die Lieder aus dem Spanischen Bürgerkrieg, retrospektiv so gerne als Ausdruck der Eintracht verklärt – eigentlich waren das regelrechte Hymnen der Uneinigkeit. Aus jedem Schützengraben winkte ein anderer Wimpel – Anarchisten, Sozialistinnen, Kommunisten, Republikanerinnen – und jede Splitterpartei hatte ihre eigene Melodie, sich einer Identität zu versichern.

Vor dem Fenster, unten auf dem Platz, schreit ein kakofones Zetermordio. Vielleicht trotzdem pissen und den Frust ablassen? Es wäre Honig für den Kopf.

Aber wollen wir ihnen tatsächlich mit unserer trotzigen Abgrenzung zur fehlenden Identität verhelfen?