Zoom ins Dickicht

«Das Stück hat mich eigentlich schon genervt, als ich wusste, dass Kopfhörer im Spiel sein werden», sagt mir jemand beim Vernissage-Apéro zwischen zwei Bissen Vegi-Flammkuchen. Wir sind im Foyer des Schlachthauses, Premiere von «Wallmapu Ex Situ» des Kollektivs «Trop cher to share». Aber fangen wir von vorne an.

Das eigentliche Bühnenbild ist simpel. Ein schwarzes Podest, darauf vier Stühle mit vier sitzenden Menschen. Sie tragen Headsets und Kopfhörer. Auch dem Publikum werden Kopfhörer verteilt. Kanal 1 Deutsch, Kanal 3 Spanisch. Daneben das Kabelmassaker. Eine Unmenge Laptops, grosse Kameras und zwei Techniker*innen. Sie sind zuständig für die Live-Schnitte der simultanen Internetübertragung. Eine Moderatorin begrüsst das Publikum, das Stück hat begonnen. Die vier Schauspielenden stellen sich selber vor, und was sie verkörpern werden. Euca, die Eukalyptuspflanze; Histórica Relación, ein Geschichtsbuch; Chiliweke, ein ausgestorbene Verwandte des Lamas und Roland, ein Radpanzer aus Kreuzlingen.

Sie sprechen angestrengt, mit Pausen, Ausdrücken der temporären Wortlosigkeit. Alles improvisiert? Dazu drückt die spanische Übersetzungsstimme leise durch die Kopfhörer. Immer wieder Atemgeräusche, Schlucken, Kleiderrascheln. Callcenter oder UNO-Menschenrechtsrat, wo genau wir stecken, wir sind uns nicht sicher in den Publikumsrängen. Dabei wird alles ausformuliert. Es geht um Wallmappu, ein indigenes Gebiet, das zum grössten Teil in Chile liegt. Um Mystisches, die Ausbeutung der Natur, die Kontrolle durch Polizei und Armee. Um die Kolonialisierung, bei der auch viele Schweizer Siedler*innen profitierten, die irgendwann durch Multis abgelöst wurden.

Erneuter Auftritt der Moderatorin. Das Publikum soll über neun Themen abstimmen, die dann je zwanzig Minuten verhandelt werden. Gewählt wird Schweiz-Wallmapu und Zukunft. Für Kolonialismus und Extraktivismus ist man vielleicht zu scheu, vielleicht auch zu wohlständig oder bequem. Es folgt eine Diskussion, jede Schauspieler*in gibt das Beste, die spekulative Position zu vertreten.

Für einen kurzen Moment schlüpfen alle aus ihren Rollen. Es wird über die Technik gescherzt oder über das «Geschichtsbuch», das wegen der Premiere wohl etwas schüchtern ist und sich darum zurückhält. Währenddessen werden mit einem Dokumentenprojektor und ausgeschnittenen Fotos immer wieder neue Bilder collagiert und auf die Leinwand gebeamt.

Dann wird endlich aufgelöst, was hinter den unsicheren Stimmen steckt. Grosse Kästen werden projiziert, erneut vier Menschen drin. Ein Bild, das nach zwei Jahren mühsamer Zoomsitzungen nur allzu bekannt ist. Die Schauspielenden haben simultan übersetzt, Äusserungen von Menschen, die in Chile aufgewachsen sind oder jetzt dort leben. Darunter eine Mapuche-Aktivistin, ein Journalist, eine Künstlerin und ein Forscher. Diese geben ihrerseits die spekulativen Positionen der vier nichtmenschlichen Akteure wieder.

Was hier probiert wurde, war eigentlich zum Scheitern verurteilt. Zu wenig verspielt, um die schauspielerischen Leistung mit Lust zu verfolgen, zu holprig übersetzt, um den Beiträgen unbemüht zuhören zu können. Doch dieses Scheitern zeigt mehr als ein Onlinesymposium – es wirft die spannenderen Fragen auf. Wie weit ist Vernetzung und Austausch möglich, simultan über den halben Globus? Geht das: das dichte Geflecht kolonialer Ausbeutungsmechanismen in knapp neunzig Minuten zu entwirren und einem Publikum darzustellen? Und können wir das zu Kunst erklären?

Das Stück ist vom 02. – 03.06.2020 im Südpol Luzern und vom 24. – 26.06.2022 im Fabriktheater Zürich zu sehen. Das lesenswerte Archiv der Recherche lässt sich unter diesem Link begehen.