Gleich vorne weg: Die Qualität dieses Stücks verhält sich gegenteilig zur Komplexität der Auflösung des Problems, welches es sich auszuleuchten schickt. Und das scheint ein Millenniumproblem.
Kolonialmachtfreiheit – eine Sache, die mit der blossen Befreiung von Territorialstaaten nicht verrichtet ist. So wir denn im Leben nicht frei werden vom Setzkasten der Kleinfamilie, nur weil wir von zuhause ausziehen und so weiter.
Aber jetzt erstmal halblang. Schliesslich sitze ich mit Husten in der ersten Reihe zum Musiktheater im Dachstock – gemeint im Sambia der 60er Jahre, kurz vor dessen Unabhängigkeit 1964, da also noch Nordrhodesien – und gleich geht hier eine Rakete durch die Decke.
Die Klammer der Erzählung öffnet sich weiter hinten – vor dem Grossen Krieg. Und wir sind in ein Land geworfen, das die aufgezwungene Britische Krone mit Bodenschätzen und Manneskraft für die Schlachtfelder zu entschädigen hat – nach dem Prinzip Schutzgeld quasi. Kein Wunder also, dass hier im Laufe des Jahrhunderts verschiedene Ideen der Selbstbehauptung zu gären beginnen: Das positivistische Luftschloss einer Staatsraison (verkörpert von einem westgläubigen General), gegen die Buschsekte, zusammengehalten vom Charisma der Rhetorik und der Natur und schliesslich gegen Edward Mukuka Nkoloso, einem Spinner. 1960 gründet er die Zambia National Academy of Science, Space Research and Philosophy, die an die Begehung des Mondes und darüber hinaus denkt. Drei Vektoren, die wie Eisschollen aufeinandertreffen, doch dabei geht mehr kaputt als Kristall – Identität wird gesucht und Menschen werden getötet. Im Hintergrund dieser Physik spielt sich auf der Bühne eine wunderbar laufruhige Musikmaschine quer durch die Rhythmen der Subsahara.
Und wer spinnt jetzt hier genau?
Die förderlichsten Mythen liegen höchstens in der Zukunft. Und dafür brauchts ein Konzept mit Horizont, also warum nicht gerade ein Weltraumprogramm? Based on a true story, Edward Mukuka Nkoloso gehörte ins MOMA und alle, die ihn verlacht haben, auf die Knie. Aber so lief das nicht. Der Kalte Krieg fixierte die Welt auf ein Schisma, auf ein Entweder-oder und unter dem nördlich gezüchteten Essentialismus der Rückständigkeit gegenüber den Blockfreien Ländern wurde diese Art von Ermächtigung niemals als solche erkannt, bis heute kaum.
Göttersagen, Nationalstaaten, Atomwaffen – da bleibt keine Zeit für Phantastisches. Doch geht dabei vergessen, frei nach Alexander Kluge, dass jede Realität von einer Grammatik, nicht nur des Moments, sondern der Vergangenheit, der Möglichkeit und auch des Obtativs – dem Modus des Wunsches – bestimmt ist. Es kann auch darum gehen, dass meine Kinder einst gewinnen werden.
Und hier schliesst sich denn auch die Klammer von Black Space Race – dieses Edelsteins eines Musik-Performance-Tanz-wie-auch-immer-Theaters (die Formalitäten den Behörden). Richtung Sinnlichkeit wider den Verstand, ohne der Weisheit letzter Schluss, auf der Chiffre des Vorwärts, festgemacht am Mast eines Schoners, unter der Flagge einer Kunstbewegung: dem Afrofuturismus. Diesem durch und durch schwarzen Entwurf der Zukunft, der sich mir glücklicherweise so nicht gänzlich erschliesst, als ich noch antagonistisch verwurzelt bin im Diskurs, ob ich will oder nicht – Repräsentant einer fortwirkenden Hegemonie weisser Machtstrukturen.
Schwarz ist nicht monochrom und die Zukunft ist zu gewinnen.
Mir bleibt denn ein banales Merci, wird mir das vorgeführt, so formschön an mich herangeschaufelt – zwischen der lachenden Kraft der Travestie, einer Handvoll eingesprengter Effekte, dem Flow einer wirklich gut erzählten Geschichte (selten genug) und dieser so sehr federnden Band. Das alles lässt mich meine Grippe für eine gute Stunde vergessen, aber nicht, dass davon eigentlich gar nichts lustig ist –
sondern hoffentlich bitterer Ernst.
Black Space Race spielt noch bis und mit Tour De Lorraine jeweils um acht im Dachstock der Reitschule Bern.