Ein Spaziergang durchs Internet

Der Herbst ist da und nach draussen will man nicht, weil es regnet und die Stadt von betrunkenen, faschistoiden Fussballfans überrannt wird. Da bleibt einem nur noch das Internet. Bern gibt es schliesslich nicht nur draussen in den Lauben, sondern auch drinnen im www. Aber was geht da eigentlich? Ein Spaziergang.

Eigentlich hätte das hier ein Text zu einem Instagram-Post von Rave it Safe werden sollen, der aber nicht mehr aufzufinden war in diesem Internet, trotz intensiver Recherche. Man kann also wider erwarten doch Dinge aus dem Internet löschen. Der Post hatte den Zweck das wöchentliche Drugchecking zu bewerben und zeigte ein Bild von einer Karnevalsmaske und darüber die Worte: «Unter Drogen findet man nicht sich selbst, sondern nur seinen Schatten.» Wer so unverschämt unsensibel Drogenprävention betreibt, sollte vielleicht besser im Altersheim Lotto-Abende moderieren. Wir haben es hier schon einmal geschrieben vor ein paar Monaten: RIP das gute alte Rave it Safe, jenes das noch szenenah und nicht zu bändigen war.

Aber ich konnte also diesen Post nicht mehr finden und man soll ja keine Texte ohne Quellen schreiben. Doch das ist ja nicht die einzige missglückte oder zumindest sehr fragwürdige Präventionsbemühung hier in der Gegend und also habe ich mich mal wieder drüben bei police.be.ch umgeschaut. Zuoberst findet man da immer noch diese Sandro-Kampagne, welche Anfang Sommer lanciert wurde. Man konnte die grossen Plakate beim Bollwerk und in der Innenstadt kaum ignorieren, weil sie mit einem verschwommenen Bild auf gelbem Grund und Sätzen wie «Hier hat Sandro getanzt» ins Auge fielen, aber keine Informationen preisgaben. Um mehr zu erfahren, hätte man den QR-Code auf dem Plakat scannen müssen, doch das war gar nicht notwendig, denn «Sandros Geschichte» wurde kurze Zeit später der Zielgruppe (jung, berauscht, gewaltbereit) als Werbung in die Insta-Stories gespült. Eine unverschämt gute Kampagne also, und eine viel zu gut funktionierende und im Grunde sehr primitive Form von Marketing. So gut, dass es nervt, weil man an sich selbst merkt, dass es funktioniert und man jetzt wissen will, was hinter diesen Werbetafeln steckt und es nervt noch mehr, wenn man dann merkt, dass es eine Präventionskampagne von der Kantonspolizei Bern ist.

Der Kern dieser Kampagne sind ein paar Videos in welchen Sandros Vater, Lehrmeister, Freundin und Saufkumpane erzählen, wie schlimm das war, als Sandro damals fast jemanden totgeprügelt hätte, besoffen im Ausgang, und jetzt im Knast sitzt und «sein ganzes Leben versaut» hat: «5 Jahre Gefängnis. 500’000 CHF Schulden. Keine Dates mehr.» Alles sehr plakativ erzählt und gespickt mit Floskeln, «Ich hätte das nie von ihm gedacht», klassisches multimediales Storytelling, ganz nach Bento oder Vice. Auch die Kapo geht mit der Zeit. Nur was nützt Prävention, wenn das System scheisse ist, macht mal besser was gegen das Patriarchat, will man da der Polizei sagen, dann gäbe es vielleicht auch etwas weniger prügelnde Männer im Ausgang. Aber die Polizei ist da vielleicht auch nicht gerade der richtige Ansprechpartner bei feministischen Anliegen.

Weiter unten auf der Präventionsseite der Kapo gibt es dann noch «Kurzfilme im Virtual Reality Format» zum Thema Gewalt im öffentlichen Raum. Da kann man im point-of-view-Modus verschiedene Situationen durchspielen und Entscheidungen treffen; soll man dem Freund sagen, dass er sein Messer nicht mit in den Ausgang nehmen soll? Was macht man wenn man einen Übergriff beobachtet oder wenn man ausgeraubt wird? Jenachdem wie man sich entscheidet, ist am Ende die Polizei da und alles gut, oder irgendwer liegt runtergestochen am Boden. Und das Ganze kommt in so einer Mischung aus Nullerjahre MTV-Ästhetik à la Prodigy und Ego-Shooter-Feeling daher. Ja, auch die Kapo geht mit der Zeit.

Immerhin weiss ich jetzt wie reagieren, wenn man als Frau von einem Typen auf dem Nachhauseweg bedroht wird: Nämlich hoffen, dass ein anderer Typ das beobachtet, interveniert und die Polizei ruft. Geil, dann bin ich ja beruhigt und das Problem der patriarchalen Gewalt ist gelöst, sobald die Polizei da ist. Dann geh ich also wirklich lieber in einen Selbstverteidigungskurs oder kauf mir Pfefferspray, anstatt in einem Virtual-Reality-MTV-Clip verschiedene simulierten Gewaltsituationen durchzugamen. Den hätten dann auch besser die serbischen Fussballfans von gestern durchgespielt oder gleich die Polizei selbst. Weil Warnschüsse nachmittags auf offener Strasse, naja, da hätte man dem Kollege doch besser gesagt, dass er die Waffe zuhause lassen sollte.

Zum Glück gibt es ja noch einen letzten ruhige Zufluchtsort im lokalen Internet: Der Twitter-Account von Bernmobil. Dort werden stoisch Störungen und deren jeweilige Behebung getwittert. Nur selten weicht Bernmobil von der Lyrik des Funktionalen ab, wenn zum Beispiel der erste selbstfahrende Bus unten in der Matte und im Marzili den Betrieb aufnimmt. Ansonsten aber bleibt Bernmobil zurückhaltend und schenkt der Twitter-Timeline täglich ein, zwei Gedichte:

Die Linie 9
Fährt wieder
Nach Fahrplan.

Gesendet um 00:30 – 22. Aug. 2019.