Jugendlieben müssen irgendwann aufgegeben werden, aber man vergisst nicht, wie klar und kopflos sie sich angefühlt haben. Vielleicht ist es naheliegend, dass man in dem Bereich nicht allzu viel Humor hat.
2005 war ich zwölf Jahre alt, sass mit meiner besten Freundin vor dem alten Monitor meiner Eltern und schaute mir zehn, zwanzig Mal das Video zu «Summer für immer» an, wie Baze zur Zeile «Ds Läbe isch e Chue, i gang se ga mäuche» eine imaginäre Kuh melkt, wir lachten uns tot. Am Abend durften wir im Quartier umherziehen bis zum Einbruch der Dunkelheit und fühlten uns so cool wie nie vorher oder nachher. Das erste Chlyklass-Album kaufte ich mir für wahrscheinlich 29.90 auf CD im CityDisc. Ich habe es mir nie so erschliessen können wie PVPs «Eifach nüt», aber es war trotzdem ein wenig Soundtrack dieses Sommers. Mit zwölf Jahren fühlt man sich nicht nur so cool, sondern auch so erwachsen wie später nie wieder.
«Ke Summer» war kein wirklich gutes Album, es wollte nicht recht rund sein und streute zu viele Fäden aus, ohne sie am Ende verbinden zu können. Eine Chlyklass hiess damals: Wir lassen den Langsameren etwas mehr Zeit, zwei Jahre in die erste Klasse und bis zur vierten musste man auf die eine oder andere Art schneller werden. Aber zum Schluss ist eine Chlyklass eine Hackordnung, kein Jekami; und darum ist «Wysse Golf», der eigentlich ein Baze-Track ist, der beste Track auf «Wieso immer mir?» zehn Jahre später: Da hats einer in die Regelklasse geschafft.
Auf «Ke Summer» gab es nicht mal einen weissen Golf, das Album wollte zu viel und traute sich zu wenig. Es scheint, als ob die Erzählung bei jedem Track an einem anderen Ort neu beginnt, eben doch Jekami, da sieht man dann, was man daran hat. Aber es war mir egal, ich wollte es trotzdem lieben und manchmal funktioniert Wollen in diesem Bereich erstaunlich gut. Die albernen Fortsetzungsgeschichten zwischen Splatter und Kiffen im Hinterzimmer mochte ich am liebsten, ich mochte den Humor und auch die Haltung. Das mit dem Saufen konnte ich mir noch nicht so recht vorstellen. Viel verwegener wurde es ohnehin nicht: Interessant eigentlich, wie durchgehend brav die Chlyklass immer geblieben ist. Aber es war Bern, und Bern fühlte sich gut an so, und es war besser als Sektion Kuchikästli und viele andere, die sich noch so tummelten.
2005 waren wir ja eigentlich spät dran mit unserem Chlyklasshype, des Alters wegen konnten wir nicht früher einsteigen. Aber ich habe eingesogen, was einzusaugen war, und dass mir jemand meine «Eifach nüt» zerkratzt zurückgegeben hat, kann ich bis heute nicht verzeihen. Ein wenig vor unserer Zeit war ausserdem Greis «global», später haspelten wir die Lines auf jeder Demo mit und dachten über Zusammenhänge nach, noch später liess sich Greis für eine Incarom-Werbung einspannen. Enttäuschte Liebe macht die bittersten Herzen.
Aber jetzt: stehen sie da, einen Tick zu jung angezogen, ältere Herren an der Ruedi-Rüssel-Tankstelle in der Länggasse, wo ich aufgewachsen bin, zweite Single-Auskoppelung des neuen Albums. «Nümm normau». Und sie sagen alles, was ich eigentlich sagen wollte: Dass sie zu alt sind, dass sich trotzdem nichts verändert hat in der Zwischenzeit, dass sie immer noch Chlyklass sind und im Grunde in keiner Weise zusammenpassen, wie das eben ist auf dem Pausenplatz und in anderen Schicksalsgemeinschaften. Die Flows sind noch dieselben, die Moves, die Freundschaften, die Beats wunderbar in den Nullern geblieben; Poul Prügu ist immer noch grob-schläch-tig und Serej immer noch huere nervös. Es ist komplett lächerlich, aber irgendwie ist es auch sehr gut.
Was soll man anfangen mit einer Jugendliebe, die aufgewärmt wird, ohne dass man es wollte?
«Deitinge Nord» ist Nostalgie für alle Beteiligten und das heisst, dass auch die Probleme, die «Ke Summer» und «Wieso immer mir?» hatten, dieselben geblieben sind: kein roter Faden, zu viele Parts, die nicht zusammenpassen. Keine Fortsetzungsgeschichten mehr, dafür einige schöne Hooks.
Aber «Deitinge Nord» ist dort gut, wo die Lächerlichkeit ihren Platz stolz behaupten darf, wo der zusammengewürfelte Charakter keine Rolle spielt, weil er Konzept ist. Und nicht dort, wo die Tracks zu lang werden, wie etwa auf «Nid üses Revier» – eine einzige Idee für fünfeinhalb Minuten mag reichen, wenn man sie richtig durchzieht – und sie nicht in einige seltsam unzusammenhängende Parts zerstückelt. Als hätte Greis in den Gruppenchat geschrieben: «Jungs, was chunnt öich so y Sinn, we der a Hüng dänket?». Aber Chlyklass war sowieso nie besonders gut als Chlyklass, weil in der Mischung die einzelnen untergingen: PVPs coole Verschrobenheit, Wurzel 5s verschrobene Coolness und Baze, ja, über Baze haben schon andere geschrieben, es wäre zu viel des Guten.
Und trotzdem: Inhaltlich recht konzeptlos, ist «Deitinge Nord» doch stark in jenen Momenten, wo die Spannung gehalten wird zwischen Sinn und Krise des Älterwerdens: Irgendwie machen wir alle noch dasselbe, und das ist schon in Ordnung, irgendwie ist das manchmal peinlich, und das ist schon in Ordnung. Geschenkt, das Ballönli am Stammtisch.
Eine kalt gewordene Liebe kann nicht warm gesungen werden, aber das scheinen die Chlyklass-Alumni ohnehin zu wissen; «Deitinge Nord» verspricht nichts, was es nicht halten kann. Bleibt die Frage, ob es nötig war, Erinnerungen so plastisch aufleben zu lassen. Wahrscheinlich nicht – der gleiche Scheiss bleibt der gleiche Scheiss, und das Älterwerden fühlt sich auch so schon sonderbar an.
«Deitinge Nord» ist heute über ChlyklassRecords erschienen.