Soll ich den Pass zurückgeben oder mich für ein Auslandpraktikum beim IS melden? Schwer zu sagen. Man könne den Pass in der Schweiz nicht einfach zurückgeben, sagt jemand am Tisch. «Das Billet hast du an der Backe, es kennzeichnet dich international als egoistisches Liberalo-küsst-Polizeistaat-Arschloch, als feiges Schwein, das auf einem faulen Haufen Geld hockt, immer ein paar hundert Meter höher als der Meeresspiegel» und weil der Kopf seit Donnerstag durchwegs flimmert, schiesst ein Bild auf, es soll einmal einen haarigen Männerrücken verzieren als Tattoo. Das Bild zeigt ein abstürzendes Flugzeug mit Spruchbanner: «Mehr Glück als Verstand.» Gilt für den persönlichen Hardstyle-Hedonismus und fürs Mutterland.
«Du siehst müde aus. Was hast du getrieben am Wochenende?»
Ich habe mein Porte-Monnaie geleert, meinen Dopaminhaushalt auf Trab gehalten, einen Stimmzettel versenkt, fünf Gänge gefressen und ein Pack Zigaretten vernichtet in einem mittelteuren Restaurant, wo der Rotwein mineralisch ist und der Engel schon blau, habe ein paar Schritte getanzt, ich habe mich auf einen Stuhl gebunden und Loops in mich hineinfahren lassen, habe einige Hunde berührt (immer kurz davor, das Menschengeschlecht aufzugeben oder doch den Anspruch darauf, dieser kosmischen Verirrung anzugehören – auch das könne man übrigens nicht, sagt die Klügere vom Tisch nebenan), bin auf ein Dach geklettert, habe auf Asphalt gesessen und im Gras. Vor der Aare hatte ich Angst. Damit zu den Fakten.
Freitag, 19 Uhr, Schützenmatte: Ein Afro-Ufo ist gelandet, vielleicht nicht ganz zufällig hier auf diesem Bletz Asphalt, wo du mit polizeilicher Schikane rechnen musst, wenn du schwarz bist. Dazu spielt Black Space Race, die Musik zum Stück, nach einer wahren Begebenheit um Edward Makuka Nkoloso, der Zambia noch vor Ost und West auf den Mond zu schicken gedachte. Ein bisschen weniger Schwerkraft täte wirklich Not: Ein paar Dutzend Menschen erscheinen trotz Fussballturnier zum Guerillakonzert, einige versuchen zu tanzen, krachende Glieder, zittrige Beine und der erste Sonnenbrand, vielleicht müsste sich Bern wieder einmal freitanzen und vielleicht sähe das heute nach eineinhalb Jahren Corona aus wie ein Trauerumzug oder das schwingende Tanzbein der Zuger Polizei. Der Staat schuldet uns allen Tanzstunden, soviel ist sicher. Und dass diese Band daran nicht Schuld hat, ebenfalls sicher, fahren ein mit Djembes und Trompeten. Und einer mit Trottinett und suchendem Blick stellt seine Selbstgespräche ein und wird leichtfüssig. Wie man die Schützenmatte beleben soll? Man muss es halt manchmal einfach machen.
Freitag, 21 Uhr, Dampfzentrale: Wie immer zu spät in der Dampfzentrale, wo anscheinend um 18 Uhr Znacht gegessen wird. Es bleibt Lucrecia Dalt mit ihrem entrückenden Spiel von Vorder- und Hintergrund, doch die Loops tragen nicht über die ganze Strecke des Konzerts, gefesselt auf den Stuhl kommt der Verdacht, dass ich zur vollkommenen Verständigung zwischen ihr und mir meinen Körper bräuchte, die Aktualisierung des sich ewig Wiederholenden mit den Mitteln meiner Arme und Beine, zwar langsam würde ich mich winden, aber doch.
Und dann ist Sonntagmittag an der Aare und man fragt sich, was das alles soll. Der Neo-Biedermeier setzt sich auf frische Picknick-Tücher zum Tinderdate, schwebt wie aufgeständert auf Stand-Up-Paddles vorbei oder joggt paarweise den Weg entlang, während die ersten Abstimmungsprognosen dämmern. «Und die sind nicht einmal Schuld an all der Scheisse, die wohnen in der Stadt und haben die Kreuze brav am gleichen Ort gemacht wie wir auch», sagt das klügere Gegenüber. Also packe ich mein inneres Sturmgewehr wieder ein und rauche einen Joint, der die letzten aufbegehrenden Synapsen ruhigstellt. Im Botanischen Garten ist die Welt immer in Ordnung.
Und jetzt raus zum feministischen Streik.
Insta/nofilter: unverdaute, betrunkene, nachtwache Kultureindrücke. Rausgeschossen als gäbs kein Morgen.