Liebesbrief: Schwarzer Vorhang, Brunnen, rosa Wolken

Liebe Meret,

Ich war gerade in deiner Ausstellung im Kunstmuseum. Teils, weil ich deine Arbeiten kenne, mit ihnen aufgewachsen bin, sie mich erfüllen und motivieren ins Atelier zu gehen, teils, weil ich dich nach Hilfe fragen wollte. Du hast immer wieder deinen Liebsten geholfen, ihre Träume gedeutet. Gerne wäre ich zu dir nach Carona gefahren – hätte ich genug Mut gehabt um anzuklopfen und dir gegenüber zu stehen? Es wurde dort viel gegessen und gekocht, der Besuch und deine Freund:innen waren Teil vom Haus. Aber würdest du mir aufmachen, mich reinlassen? Ich bin traurig, am Boden, voller Verlustangst.

Meret Oppenheim, Psyche, Freundin der Männer, pl.3 (von parapapillonneries), 1976

Bin davor durchs Bern gelaufen, das auch mal deines war, kam an deinem Brunnen vorbei. Er begleitet mein Leben, das hier in Bern begonnen hat. Er verändert sich mit den Jahreszeiten. Gerade ist er vereist und die Eiszapfen sehen aus wie Tränen. Hast du auch über die hohen Brücken gestaunt, die Bern verbinden und warst im Pyri mit Freund:innen Bier trinken.

Schmetterlinge gefallen dir. Du hast sie gesammelt, analysiert. Sie stehen fürs Unbewusste, für die Transformation und die Metamorphose. Da stosse ich auf Carl Gustav Jungs Schriften, mit denen du aufgewachsen bist. Von der Raupe zum Schmetterling, fast schon zu schön, aber auch so schön, wie von deiner langen Depression zurück in die Welt, nach Paris mit Selbstvertrauen und Freude. Da hast du gesagt, es gibt nur einen Geist und der ist androgyn, wandelbar, nie am Ende.

Im Kunstmuseum bin ich auf deine Holzbox gestossen. «Kasten mit Tierchen», wo du Schmetterlingspasta reingeklebt hast. Ich musste an meine Traurigkeit denken, mein Kopfkino, weil das auch mit Schmetterlingen verbunden ist. War deine Schmetterlingspasta das Überbleibsel von einem Essen, der Anfang einer Geschichte, hast du die Schmetterlinge festgehalten oder haben sich dich berührt?

Kasten mit Tierchen, 1963

Ich ging nach dem Besuch bei dir ein Pack Farfalline kaufen und die Zutaten für eine Bolognese. Ich habe zwei Bier für uns gekauft, deines habe ich zum Essen getrunken, meines beim Kochen. Die Bolognese habe ich so  gewürzt, wie die Tage mit ihr sind, voller Lust. Irgendwann ist dann alles eingesackt, vielleicht war es die Bouillon. Das Blut hat sich  aus meinem Herzen über den ganzen Körper ausgeleert und ihn eingenommen, wie die volle Pfanne. Die Pasta habe ich durchgekocht – dass sie ja nichts überlebe. Bin ich eine Hexe? Danach habe ich unsere Bolognese darüber gegossen.

Beim Essen hat es mich eingeholt. Die Panik und die Tränen in meinen Augen, weil alles zu schön ist mit ihr, wie absurd, findest du nicht? Ich bereue jetzt dieses Gericht, es fühlt sich an, als würde ich meine Gefühle aufessen. Ich habe schlecht geschlafen, auf eine Nachricht von ihr gehofft, bin mehrere Male aufgewacht und habe aufs Telefon geschaut.

Am nächsten Morgen musste ich nochmals an deine Holzbox denken. Die Tierchen sind mit vielen anderen vereint oder getrennt, aber verbunden. So hast du auch geliebt, nicht exklusiv, aber mit Vertrauen. Warst du selbst, mit all deinen Zweifeln und Abhängigkeiten. Aufessen ist manchmal gut, vereint sein auch, nicht nur zu zweit, mit vielen lieben Menschen, wie bei deinen Essen, in Carona. Deine Arbeiten drehen sich ums Leben voller Schmerz und Freude; drehen sich wie eine Spirale, die deinen Brunnen umschliesst. Voll mit Moos in allen Farben, jetzt vereist und weinend.

Alles Liebe und bis bald Maxi

Maxi Ehrenzeller lebt und arbeitet zurzeit in Amsterdam und ist Teil des Antipop-Unterfangens Prix Garanti (das KSB hat berichtet).