Mutter Spaghetti: Aglio Olio

… oder wie ich einmal frühmorgens einem Italiener erklärte, wie man die besten Spaghetti kocht.

Es war so: Ich war neunzehn und im Sprachaufenthalt. In Genua fragen die Leute, «was willst du hier?» – ausgerechnet hier. Sie können es nicht verstehen, dass irgendwer diese dreckigen Gassen und den stinkenden Hafen schön findet, wieso bist du nicht in Florenz, Bologna, Turin, es gibt hier nichts zu sehen – und darin versteckt sich, natürlich, die grosse, unersättliche Liebe nach ihrer Stadt, sie würden selbst hier niemals und unter keinen Umständen fort. Genua hatte damals einige besetzte Häuser und Räume, zwei, drei gute Bars, wo man nachts hin konnte, viel mehr nicht. In der Regel lief Dub, Reggae oder Metal, und als ich den Mann im einzigen Plattenladen, eingenistet in der Strasse der Metzgerinnen und Gemüsehändler, fragte, wo ich am Wochenende hin soll, verwarf er nur die Hände. Lass dich treiben, schau dir die Plakate an, du findest schon was. Also sass ich in Bars herum und nahm, was mir passierte; bin mit einem mit, der mich dort aufgelesen hatte – etwas über vierzig war er und nett und das war schon in Ordnung. Er wohnte etwas ausserhalb der Innenstadt Richtung Stadion und führte mir in der Stube seine Platten vor. Ich sass auf dem Sofa und er am Boden und wir sprachen über den Friedhof, Staglieno, den sehr grossen in Genua, wo für Fabrizio de André ein Mausoleum steht, mitsamt Gitarre und Zigaretten. Ich sagte, ich sei gerne da, und er sagte: «Wir haben so viel gemeinsam.»

Es lief dann doch irgendwo ein Ska-Konzert, in der Altstadt, da sind wir hin, er mit seinen Lederschuhen und ich mit kurzem blonden Iro und Springerstiefeln, Punk spielen. Nach dem Konzert wollte er heim und ich noch bleiben, da ist er verärgert gegangen. Ich tanzte mit einem ein wenig zu schönen Italiener, der mir an der Bar ein Bier kaufte und sagte, er sei leider verlobt, und ich sagte, das sei schon gut und habe dann mit einem anderen weitergetanzt. Um fünf sagte er «andiamo» und wir gingen, durch die dunklen, schmalen Gassen, er lebte nicht weit von da. «Sei leise», sagte er beim Reinkommen, die Mutter schlafe.

Er war vielleicht dreissig und wohnte in einem hübschen kleinen Bubenzimmer mit sauberer Bettwäsche und einem kleinen Röhrenfernseher, auf dem er Musik abspielte. Er zeigte mir Fabrizio de André, den ich schon kannte, weil es sehr schwer ist, in Genua um Faber herumzukommen. Das hat ihn beeindruckt, eine Schweizerin, die Fabrizio de André kennt und weiter auch, dass ich Aglio Olio kochen konnte, das konnte er nämlich nicht – der Knoblauch verbrenne ihm immer. Wir lagen auf dem Bett und ich erklärte ihm ausführlich mein liebstes aller Katergerichte – wirklich genug Knoblauch, ein bis zwei grosse Zehen pro Person, in Scheiben oder Würfel geschnitten, langsam und sorgfältig in genügend und nicht zu heissem Öl anziehen lassen, dazu Peperoncino – derweil die Spaghetti kochen. Wenn das Öl zu heiss wird, einen Schluck Pastawasser hinein oder keine Angst haben, die Platte einfach abzustellen, man muss eigentlich einfach zweimal bei der Sache sein: bevor der Knoblauch braun wird und wenn die Spaghetti al dente sind. Die Pasta in der Pfanne mit dem Knoblauchöl ausgiebig schwenken und nochmal ein, zwei Minuten der Hitze überlassen.

Danach haben wir zu Fabrizio de André gevögelt. Er hat mich freundlich geohrfeigt und geflüstert, «ti piace?», gefällt dir das, aber antworten durfte ich nicht und überhaupt auch sonst nicht laut sein, weil es die Mutter sonst gehört hätte. Als es hell war, bin ich raus, er hat zuerst aus dem Zimmer gespäht, ob die Luft rein ist und mich dann weghuschen lassen. Ich bin heim durch die stillen Altstadtgassen und auf den Bus, heim, wo mich meine fünfzigjährige britische Mitbewohnerin Terry, die sich ein Jahr zuvor irgendeinen geschleckten italienischen Geschäftsmann mit Yacht angelacht hatte und seither hier in der Sprachschule war, mit Earl Grey begrüsste und mit wissendem (aber auch erfreutem) Blick. Ihn habe ich nie mehr gesehen, den zu schönen Anderen dafür schon, er spielte in einem besetzten Haus an einem Metalkonzert Bass und erkannte mich nicht.

Einen besseren One Night Stand hatte ich später nie mehr. Und Aglio Olio ist nicht nur gegen Kater und Kummer das beste aller Mittel, sondern auch, um jemanden ins Bett zu kriegen.

Weitere Tricks für Aglio Olio: Je kleiner der Knoblauch geschnitten ist, desto schärfer wird er, das ist dann Geschmacksache. Mit der Knoblauchpresse würde ich eher nicht, aber einige schwören darauf, ihn nur mit dem Messer zu zerdrücken. Wenns zu wenig zu sein droht, nicht mit mehr Olivenöl nachhelfen, sondern mit einzwei Schluck Pastawasser, die Stärke macht dasselbe samtige Gefühl (und mehr Öl bringt so spät im Prozess nicht unbedingt mehr Geschmack). Wer mit Wein ablöschen mag, sollte genug Zeit einrechnen, damit die ärgste Säure verschwinden kann.

Mutter Spaghetti heisst: KSB isst. Und macht sich einzwei Gedanken dazu. Weil Essen Kultur ist und der Bauch das zweite Hirn.