Schon fast Tradition bei KSB ist es ja, reuig oder die eigene Verwirrung zugebend (oder beides) darüber zu schreiben, dass man irgendwo nicht war, obwohl man dahin und darüber schreiben wollte. Ich war am Dienstag nicht im Rössli bei Mr. Ray, wegen Regen und vielleicht vor allem einer Flasche Rotwein, die mich zuhause hielten und nicht zu Mr. Ray spülten, wo es sehr schön gewesen sein muss, wie ich mir sagen liess. Aber ums Schreiben bringt einen das nicht, darum: eine längst fällige Filmkritik.
Bunt flimmern die Bilder aus Oakland über den Bildschirm, immer zwei gegeneinander geschnitten, Gegensätze und Ähnliches: Oakland, Arbeiterinnen- und Künstlerstadt, Hafen und Industrie, Bars und Barber Shops, Lokalpatriotismus und Gentrifizierung; Oakland, das fast gleich viele weisse wie afroamerikanische Einwohner*innen hat, Chinatown, Baseball, White Cube, Dreck.
Hier spielt «Blindspotting», Regiedebüt von Carlos López Estrada, und vor allem auch Drehbuchdebüt von Rafael Casal und Daveed Diggs. Daveed Diggs, der mit clipping. klugen industrialinfusierten Rap macht und im Musical «Hamilton» Marquis de Lafayette und Thomas Jefferson sang, ein schon fast nerviges Multitalent, spielt in «Blindspotting» die Hauptrolle: Collin, ein junger Typ aus Oakland, der mit seinem besten Freund Miles (wunderbar: Rafael Casal) in einer kleinen Zügelfirma arbeitet, ist drei Tage vor Ende der Bewährung. Das lässt die Anspannung in diesem Film erahnen, das dauernde Hoffen, dass nichts passiert, nichts Schlimmes passiert, nichts passiert. An seinem drittletzten Tag vor der Freiheit stolpert Collin per Zufall in eine Strassenszene rein, die so unalltäglich gar nicht ist: Ein weisser Polizist erschiesst einen schwarzen jungen Mann auf offener Strasse. Und jetzt ist etwas passiert, obwohl es Collin in seinem eigenen Schicksal nicht direkt betrifft – aber eben doch betrifft. Eine Doppelung der Anspannung, die sich über Collin legt und auch über die Zuschauenden; ein unangenehmes Gefühl, das als Kommentar über das Leben einer immer noch marginalisierten schwarzen Community in den USA gelesen werden kann: nothing is safe. Es braucht nicht einmal den Ausnahmezustand der Bewährung, um sich so zu fühlen, fast immer.
Nun ist aber «Blindspotting» weder schwer noch moralisch überladen, nein: Dieser Film ist vor allem sehr lustig. Und in seiner Beschreibung der Freundschaft zwischen Collin und seinem Kindheitsfreund Miles so ehrlich rührend, dass es ein Vergnügen ist. Ein Film, der es schafft, in dieser Freundschaft die verworrenen Konfliktlinien freizulegen, die der Rassismus in die Gesellschaft eingeschrieben hat – dabei über die Gentrifizierung stolpert und Gemüsesäfte für zehn Dollar so leichtfüssig verhandelt wie die Hypermaskulinität eines Miles: ein zärtlicher Film.
Wer mehr Daveed Diggs möchte, stürze sich in das neue clipping.-Album «There Existed an Addiction to Blood», auf dem der Horror als Alltag und Genre verhandelt wird und ausserdem achtzehn Minuten lang ein Klavier verbrannt.
Bild (c) Lionsgate Films