Rec Out → FKA Radio 2

Das Schlimmste, was einem an einer Party passieren kann: Irgendjemand schaltet das Handy auf Youtube um – dauernd Pause, dauernd Abbruch, dauernd Werbung, niemand hat mehr als zwei Minuten Geduld für einen Hit. Da ist es doch einigermassen sonderbar, dass genau diese Qualität dieses heute im Orbit aufgetauchte Machwerk «FKA Radio 2» ausmacht: eine zersplitterte halbe Stunde. Danach muss man das Fest vielleicht verlassen.

An einem schlierigen heissen Tag im Juni oder Juli bestellt uns Vo in den Gastgarten der Trattoria di Berna; Vo von den Yangboy$, jetzt Vo Solo. Das Kies knirscht, neben uns plätschert ein Springbrunnen aus weissem Marmorimitat, die Kastanien machen ein dunkles Dach über unseren Köpfen. Wir setzen uns auf Plastikstühle, Vo wartet schon, trinkt Mineralwasser, hat einen Stapel A4-Papier mitgebracht: Darauf zeichnet er uns seinen Businessplan, mitsamt Skizze des Albumcovers und den Säulen zum Erfolg. Bei Instagram, so erklärt er, brauchst du fünf Storys am Tag mindestens, damit dich der Algorithmus mag; ausserdem musst du deinem Zuschauer vermitteln, dass er der Held ist in deiner Story. Nicht du selbst. Das wissen sie in Hollywood, das wissen sie im Silicon Valley, das weiss auch er, Vo, ein bisschen in der alternativen Szene verankert und ein bisschen bei den Kunstis, auf Hausfesten gross geworden, im Weyerli und in der Reitschule, aber auch im Räumlein irgendwo in einem Elternhaus in Frauenkappelen. Bei den Farmers, wie er sagt. Der auch Cryptowährungen ausgecheckt hat und ein eigenes Fitnessprogramm zusammengestellt, der bei Baldy Minder unter Vertrag ist, den Aufwärmer macht für Chlyklass. Jetzt sitzt er hier mit seinem wasserstoffblonden Pilz und wickelt uns um den Finger, bis wir selber Teil seines Masterplans sind. Und manchmal lacht er wie über sich selbst, als würde er sich selber über sein Rätsel freuen: was Figur ist und was nicht, ob es ihm wirklich so ernst ist wie er da tut, ob es überhaupt eine Rolle spielt.

Nach «FKA Radio» also «FKA Radio 2», ein Album, das sagt er: Soloalbum – mit seinen internetproduzierten Beats und Versatzstücken eigentlich ein Mixtape. Ein nervöses, fahriges Ding, aufgenommen und gemischt irgendwo in einem Keller im Südosten dieser Stadt, von einem oder einer mit Namen Sestro; aggressiv beworben auf allen Kanälen – wenn «20 Minuten» eine Suchtstory will, dann kriegt «20 Minuten» eine Suchtstory. Es geht um Arbeit, um Material, um Montagmorgen und Übermüdung, um den Chef und den Unterhund, um Geld und Krüppelei und Langeweile und um Shopping. Schaffen, schaffen, Häusleinbauen. Hustlen, Rechnungen begleichen. Am Ende des Tages schaut man von all den Serien nur die ersten paar Minuten, weil Anfangen nice ist und Aufhören weniger.

Wie auf einem elenden ewigen Aufputscher treibt sich Vo durch seine Songs und klingt doch ziemlich zurückgelehnt, vielleicht nicht mehr ganz so verschliffen wie auch schon. Macht sich über den Boss lustig wie über den Angestellten und nimmt am Ende auch sich selber nicht aus der Pflicht. Weil auch er letztendlich nichts anderes ist als ein kleines Rädchen im big capitalism, einer, der auch mal zu begreifen versucht (wenn er Zeit hat) und der sich für die Mechanismen auch deshalb interessiert, weil sie ihm etwas nützen können. Je länger die Angelegenheit dauert, desto mehr Fetzen Werbung scheinen auf, sie durchziehen das Album, Anpreisungen plärren in die Songs. Für das Produkt FKA, für das Produkt Vo, für das Produkt Soloalbum. Und wieder Abbruch, Neustart, Neustart, Absturz, fertig. Dann ist da kein Lied mehr, bloss noch Flimmern.

Sich selber zum Produkt machen, um den herrschenden Verhältnissen einen Spiegel hinzuhalten: Wer weiss, ob das funktionieren kann. Trotzdem wird hier eine eigentlich ziemlich klassisch consciouslinke Prosa über Arbeit und Verderben bzw. das vercetti’sche kapitalistische Dreckssystem dreimal durch den Mixer geschmissen und wie alles andere fröhlich zum Verkaufsschlager gemacht – bis man konfus wird in dieser Materialschlacht, dieser Youtubeparty from hell. Bis das Mixtape ein Album ist, weil es das so beharrlich behauptet, bis die Beats alle von Vo sind, weil er das so beharrlich behauptet. Ihm ist das sehr ernst oder es ist ihm schliesslich scheissegal. Klingt beim ersten Hören noch überheblich, wenn er sagt: «FK, es git Lüt die schaffe gärn ey.» Könnte halt einfach sein, dass er damit sich selbst meint.

«FKA Radio 2» ist heute erschienen und überall erhältlich. (Wirklich überall.)

Rec Out ist da, wo du am Pult den Cinch-Stecker einstöpselst, damit was klingt am Jack-Ende. Bei KSB heisst Rec Out regelmässig Schreiben zu naheliegender Musik.