Rec Out → Gói

Rea wohnt in einem Haus mit Salon und der schönsten Treppe, die es sich vorzustellen überhaupt gibt. Stufen aus Holz, so breit wie kleine Betten, die Choräle singen, wenn man sich darauflegt – mit einem Ohr zur Planke. Und der schwergezimmerte Handlauf, zwischen rechteckigen Pfosten, ist sanft geworden, durch ein Jahrhundert auferlegter Hände. In das obere Stockwerk führen auch hohe Scheiben in verschiedenen Farben, gefasst von schmalen Rahmen, entlang einer von der Fassade abstehenden, vertikalen Galerie – davor stehen Bäume. Mindestens ein Hundeleben lang haben die keinen Schnitt mehr erfahren und in der Nacht verfilzen sich darin Scheinwerferstrahlen von vorbeifahrenden Autos. Im Treppenhaus schneit es dann immer Lichtflocken.

Rea ist nicht da. Aber ihre Platte spielt über den Lenco, aus dem Zimmer im Hochparterre, wo Pflanzen in staubigen Tontöpfen stehen. Die Türe hält sich zum Garten offen. Moos durchsetzt den tiefen Rasen, der stufenlos in die hausumfassende Hecke übergeht. Von Hagebutten schwerbehangene Rosenbüsche schaukeln mit ihren feingliedrigen Trieben, gebogen in Luftzügen, die sich durch den Garten atmen.

Gói heisst das Album, das heisst auch Rauch – weiss und dicht. Reas erstes Solo dehnt sich über zehn Stücke und aus dem Nebel, bis zum Licht. Sie spricht Sätze zu uns, in Phosphor. Vom Verwickeltsein, heisst es – in Gewächse, in Gewebe, Körper, feingewobenes Tuch in hellblau – gewichtete Klaviaturtasten, so satt, als setzten sich Güterwaggons fest, in ihre fettschwangeren Kupplungen. Eine Lokomotive nimmt Fahrt auf, pfeift aus allen Ventilen und wir bleiben stehen im Orgelwind. Im Schotter. Stimme durchbricht Hüllen, sprengt Panzer – heisst es immer.

Gói schlägt Waffen nieder, weil es Feststoffe auflöst: Angst verflüchtigt sich beim Durchhören. Aber Gói festigt auch: Nahbarkeit, weil es stolpert wie ein Herz, stampft wie Fusssohlen im Kreistanz. Elfenbein bleibt Stosszahn, Türme stürzen ein, das Fundament weggedrückt von diesem Tongeschiebe – wie von Gletscherzungen verteilte Felsbrocken. Gezwitscher von Viechern und Apparaten, in der Luft eine Atomwolke glitzernder Mineralien: Ambient ist so verfänglich, Experimentalmusik, Konkrete Musik – wie auch immer, diese Leinwände, die es aufspannt.                           Löcher, Leere machen Bewegung erst möglich, aber wie schnell ist diese überwuchert von den Arabesken des Diskurses über das Seichte, faschistisch Funktionalistische bis hin zum Überkonzipierten – den Fussabdruck der HDK-XY noch auf dem Hintern tragend.

Gói schlägt dem ins Gesicht – in dieser Totalumarmung tonaler Materialitäten, spezifisch organische Strukturen herausarbeitend, und klingt so vielleicht am ehesten nach Jugendstil. Ein starker Glaube an die florale Kraft der Reduktion, dynamikversessen, die Gefahr des Seelenlosen am bloss Seriellen bannend. Aber nach spätestens zehn Sekunden Gói über die Lautsprecher ist sowieso nichts mehr mit einordnen: Endorphin stellt sich ein. Alles wird körperlich, ich wünsch mir das für eine kleine Ewigkeit, die leider viel zu schnell vorbei ist.

«Gói» wurde am 8. November auf BlauBlau Records veröffentlicht. Am Donnerstag 21. November spielt Rea ihr neues Album live bei uns, im Rahmen des Saint Ghetto 2019 – dem Musikfestival in der Dampfzentrale Bern.

Rec Out ist da, wo du am Pult den Cinch-Stecker einstöpselst, damit was klingt am Jack-Ende. Bei KSB heisst Rec Out regelmässig Schreiben zu naheliegender Musik.