Der Feind, er ist da draussen. Und die Nationen stehen zusammen, die Worldleader dürfen endlich wieder an ihre und unsere primivsten Reflexe ran.
Nous sommes en guerre, en guerre sanitaire certes. Nous ne luttons ni contre une armée ni contre une autre nation, mais l’ennemi est là, invisible, insaisissable, et qui progresse. Et cela requiert notre mobilisation générale. Nous sommes en guerre.
So tönt’s drüben in Frankreich, wir hatten es schon davon. Gestern hat Macron dann noch nachgelegt. Den greatest of all Leaders sparen wir uns lieber (aber von Krieg und von geografisch schön zuordbaren Feindbildern spricht man dort natürlich auch).
Ok, man kann es ihnen nicht verübeln, schlechter Leumund, dieses Virus, zweifelhafte Herkunft: Seit ca. 1. Hälfte 20. Jh. in der spezifischen Bedeutung eines Krankheitserregers, zuvor allgemein ‘Gift(stoff), Ansteckungsstoff’ (2. Hälfte 19. Jh.), wohl über früher bezeugtes frz. engl. virus (zunächst äußerliche Krankheitszeichen wie ‘Eiter, Gestank, Gift’ bezeichnend, dann im Frz. Ende des 17. Jhs. ‘Krankheitserreger’) aus lat. vīrus n. ‘zähe Flüssigkeit, Schleim, Saft, Gift, Gestank, Schärfe, Bitterkeit’.
Das Eigenartige dabei: Mit dem was in der Virengrundlagenforschung derzeit passiert, hat das rein gar nichts zu tun. Da interessiert man sich viel eher für den Menschen als Ökosystem und für die Viren als durchaus willkommene Gäste. Wobei es um medizinische wie auch um sehr philosophische Fragen geht.
…although viruses have generally been characterized by their harmful effects, many examples of mutualistic viruses (i.e. viruses that can increase the host fitness) exist.
Gut verstanden ist das alles nicht, weil wohl für die meisten Viren gilt, dass sie sowohl gut wie böse sein können, oder anders gesagt: Dass das Konzept von Krankheit in ihrem Referenzrahmen nicht viel Sinn macht – was ein wenig an die Besucher aus dem All in Picknick am Wegesrand der Brüder Strugazki erinnert, die mit ihrer ausserirdischen und achtlos liegengelassenen Physik in der Zone für einiges Durcheinander sorgen. Ihr Interesse für die Menschheit hält sich dabei in engen Grenzen; so viel zu unserer immer allzu leicht beleidigten anthropozentrischen Eitelkeit. Überhaupt, Viren sind grosse Grenzenauflöser. Schon mal weil sie so leicht durch Zellmembranen schlüpfen, dass sie vielleicht gar nicht als Objekte, sondern eher als Prozesse gesehen werden sollten, als Fluidum – der Virenpionier Martinus Beijerinck hielt sie tatsächlich für ein Contagium vivum fluidum (lat: «ansteckende lebende Flüssigkeit»), weil er sie nicht wie Bakterien aus dem Wasser herausfiltern konnte. Aber noch viel mehr weil sie ganz grundsätzliche Fragen übers Leben und unsere Identität stellen. Denn auch wir sind viral, zu etwa acht Prozent – mindestens so viel unseres Genoms stammt von Viren. Manche von ihnen infizieren uns, andere nisten sich ein: Sie sitzen mitunter schon seit Urzeiten in unserem Erbgut und scheinen sich da so wohl zu fühlen, dass sie gar nicht mehr in Versuchung kommen, sich zu eigenständigen Individuen zurückzubilden. Im Fachjargon nennt man das die Phasen der «Persistenz» und der «Latenz». Bei der Persistenz schwelt die Infektion auf niedrigem Niveau. Anders als Bakterien können Viren aber noch tiefer abtauchen: Bei der Latenz integrieren sie sich einfach ins Genom der Wirtszelle und vermehren sich gar nicht mehr. Sie verschmelzen mit dem Wirt, sie werden eins mit uns.
Viren sind also im wesentlichen Schnipsel von Information, und diese ist, wie wir wissen, immer im Fluss. Könnte es sein, dass wir, als einiges komplexere DNA-Konstrukte, auch Teil dieses Informationsflusses sind? Dann wäre Biologie gar nicht so verschieden vom grossen Internetz, von einem unendlich verschachtelten Kommunikationsuniversum. Open source, open code! Es ist, so viel ist sicher, ein grosses Copypaste da draussen, darum ja auch all der Sex. Aber das ist eine vergleichsweise umständliche Art, Information weiterzugeben, die wahren Meister des Informationsflusses sind die Viren. Sie waren es schon lang, bevor wir auf diese Welt kamen, waren es wohl schon, bevor es Lebewesen in unserem organischen Sinn gab. Nun sind wir hier und versuchen Grenzen zu ziehen, wo auch immer wir können, kategoriale, territoriale, biologische. Und die Viren, sie gehen weiter einfach ein und aus.