Clubs und Konzertlokale sehen sich aktuell mit der Realität der kryptischen Behördenlogik konfrontiert, wie sie aus juristischen Texten wohlbekannt ist. Die Selbsthilfe-Whatsapp-Gruppen der Veranstalter*innenkreise trafen sich in den letzten Wochen zur täglichen Exegese des neusten Beamtendeutsch.
Der PDF-Wald des Bundes und die flankierenden Empfehlungsschreiben der Verbände sowie deren Blinddärme wurden mit oder gegen den Strich gelesen – und es zeigte sich mal wieder: Wer sein absolutes Deutungspotential ausschöpfen will, bedient sich am besten einer spröden Sprache. Auf der Metaebene dieser Verordnungen und Vorlagen zu Schutzkonzepten spiegelte sich aber auch die Askese als Normativ. Als müsste jemand Busse tun – der Sündenbock ist ausgemacht. Die Party ist vorbei.
Ob es eine Moral dieser Geschichte gibt? Davon kann keine Rede sein – aber sie hat System.
Wie bei jeder medizinischen Krise bedingt die Diagnose der Krankheit stets die verbindliche Anweisung der einzuhaltenden Lebensführung, um überleben, genesen und wohlbehalten aus der Krise herausfinden zu können. Wie uns Hippokrates erinnert, haben diese Anweisungen umso strenger, restriktiver und «magerer» auszufallen, desto schwerwiegender die Krankheit ist und desto später sie diagnostiziert wird: ein regelrechtes Regime der Austerity.
Das schreibt Dario Gentili in Krise als Regierungskunst aus dem Jahr 2018, das als exploded view fortwährender und sich abwechselnder Krisen in unserer Zeit zu lesen ist. Ausnahmezustand ist immer – und das zementiert Bestehendes. Oder geht sogar rückwärts – wer riskierte schon ein Überholmanöver, wenn die Reifen nur noch gerade so die Bodenhaftung im Windschatten erlauben? Dann lieber mal bremsen, damit man nicht abfliegt, ins schürfende Kiesbett am Rande der Rennstrecke.
Die Diagnose ist einfach, Austerität heisst den Gürtel enger schnallen, Aderlass – und da kann man schon mal den Hedonismus über die Planke gehen lassen (Galizia hatte gesagt). Das Lustprinzip als wichtigstes Substrat des sozialen Zusammenhalts der spätkapitalistischen Ordnung ist ins Fadenkreuz gerückt. Das erscheint aber nur oberflächlich widersprüchlich.
Genau betrachtet kommt das Grundsätzliche dahinter zum Vorschein. Der Rückfall – als einen Sturz in bekannte Muster. Das verspricht Sicherheit. Die Psychomechaniker nennen das Regression. Oder die Verneinung des chronischen Chaos – es garantiert Halt (manchmal kann beispielsweise der Besuch einer Skihütte und der dortige Verzehr einer Bratwurst mit Zwiebelsauce wahre Wunder bewirken – weil es einen auf Papas Schoss zurückkatapultiert).
Früher war also alles besser, denkt sich im Krisenfall auch der Staat – und die Prohibitionsschiene war in der stockbürgerlichen Schweiz schliesslich lange genug Programm. Da war Liederlichkeit selbstwirksam als das Böse ausserhalb einem selbst auszumachen und einfach zu adressieren: den Halbstarken, den Drogensüchtigen, dem Lumpenpack. Diese wurden so zu den Repräsentant*innen klar definierter sozialen Gefahren – als Berns Gassen noch nach Bundesordner rochen in den Fünfzigerjahren, alles noch beamtenschwanger war, und bis in Achziger staubig und versteinert – alles, aber sicher nicht stoned.
Der Mechanismus des Rückfalls manifestiert sich darum heute speziell anti-hedonistisch, ohne dass er dies im Kern wirklich ist, aber der Effekt wird zusätzlich verstärkt, weil er mindestens unbewusst von Gewissensbissen und Schuldprojektionen durchwirkt ist. In einer Zeit, in der die moralische Fleckenlosigkeit auch zum Sozialkapital einer paranoiden Gesellschaft geworden ist.
Nicht zufällig ist also gerade die historisch noch immer undurchsichtig anmutende Sphäre des Nachtlebens zur Zielscheibe in der aktuellen Situation geworden. Der Präzedenzfall Après-Ski-Bar im Tirol hat sein Weiteres dazu beigetragen. Ressentiments wurden freie Bahn gewährt. Und dann ist da noch ein anderer regressiver Wiedergänger – der Neo-Biedermeier. Er pflegt zur Beruhigung aller Dissonanzen den Rückzug in die Gemütlichkeit des urbanen Daheims, das meist eine WG ist und mit seiner Ersatzfamilie sitzt er auch gern mal am Kneipentisch – aber bis um zwölf reicht längstens. Seinem Geist drängt sich zusammengefasst also momentan die Frage auf: Ihr wollt feiern, in der jetzigen Situation? Welch Unvernunft, ihr Egoisten, seid mal nicht so exzessiv! Es muss euch doch der Teufel reiten.
Teuflischer – denn es betrifft auch ihn. Er soll auch exzessiv sein – der Drogenrausch im Club ist dabei bloss ein Archetyp. Das Elektrovelo für 10 000 Franken und ein Kühlschrank voll überteuertem Biomüll ist nicht minder exzessiv. Exzess ist unser Diktat, sagen die kritischen Theoretiker*innen. Dieser Befehl ist Teil der herrschenden Ideologie und Resultat unserer aller Arbeit und Produktion – tagein, tagaus – wir liefern den Rohstoff dafür. Die Überproduktion – die ökonomische Notwendigkeit schlechthin.
Gleichliegend ist Genuss nicht ohne Überschuss zu denken, ohne den Exzess (und willkommen zurück Schuldgefühle – sie fahren hier im Seitenwagen). So vermählt sich also ein Begriffspaar – Überproduktion und Exzess – zur Befehlsform Genuss; und wird so zum kategorischen Imperativ der Gesellschaft. Es ist, was der Zizek im Büchlein Liebe Dein Symptom wie Dich selbst! so treffend als idiotisches Geniessen beschreibt und dabei die Aussichtslosigkeit zur Letztbegründung einer jeden Ideologie aufzeigt, indem er auf ihren hohlen Grund oder eben auf ihre idiotischen Symptome verweist. Die Symptome gilt es zu deuten.
Die Party ist demnach natürlich nicht vorbei, sie ist längst natürlich gemacht, weil systemeigen. Der Rave wird am Zapfenstreich zur Geisterstunde beispielsweise nicht sterben. Und sowieso geht sein Vektor schon seit Jahren Richtung Licht – also Dayrave – weil am Tag auch besser zu sehen ist, wie grotesk (oder wiederum idiotisch) man den Schein von Jugendlichkeit konservieren kann. Der Jugendwahn, ein weiteres Symptom, er ist längst Sozialpraktik.
Und nachts schlafen ist gesund – das passt dann so.
(Ergänzend: Der Rave in seiner europäischen Prägung war immer schon von Normativen diagonal durchs Gruselkabinett getränkt, wie Annette Weber in ihrem befreiend wie borstigen Text Miniaturstaat Rave-Nation, Konservatismus im Kontext der Techno Community aus dem Jahr 1996 konzis beschreibt. Er ist kein Phänomen von Minoritäten, im Gegenteil. Seine subversive Tarnkappe webt er sich aber bis heute aus den Fäden einer selbstauferlegten Erzählung von irgendwie rebellischer Stärke – mit dem Tageslicht bleibt zu hoffen, dass ihm wenigstens die Sturmmaske von der Birne gerissen wird.)
Aber wer stirbt denn nun in dieser Geschichte? Wenn die antihedonistischen Verdikte der Behörden bloss rückschreitende Oberflächenphänomene sind, die Party als idiotisches Fest ein nötiges Systemventil und exzessives Verhalten allgemeiner sogar dessen Einspritzpumpe – müssten wir diesem künstlichen Treiben nicht Unsterblichkeit zugestehen? (Ausser natürlich, wir stürzten das System.)
Ewiges Leben – eine unrealistische Regression der psychisch Unreifen.
Hat der Dr. Freud einst gesagt und seine Feststellung wurde zur dunklen Ahnung einer Zukunft, die sich uns längst schon zu schwarzer Realität verdichtet hat. Als ob er gewusst hätte: mit zunehmender Technisierung und den Potentialen der Hybris – das wird wüste Furunkel treiben. Dem Menschen wird sich der Glaube nähren, auch das Unausweichliche negieren zu können. Unser Gehirn liebt es, Widerstände zu umgehen, tendiert zu Kurzschlüssen – der absolute ist die Negation des Todes selbst. Ein kindlicher Zustand in einer zukunftslosen Zeit.
Es ist also der Tod, dem hier mindestens sein kleiner widerfährt. Wenn nichts mehr sich entwickeln will, stirbt das Ende – weil es auch als Möglichkeit aus der Welt tritt. Menschen werden zu lebendigen Fossilien, es bleibt die versteinerte Beweglichkeit.
Im Untergrund werden wir Wege suchen müssen,
stoned zu bleiben.