Von Plastik und seinem Gehalt

Es ist Freitagabend.

Und wir trauen uns in die Länggasse, zur Sattelkammer genauer – Finissage der Lausanner Künstlerin Morgane Erpen steht an: Under the Strata. Werke aus ihrer Zeit in Kairo, wir sind da, weil es dabei um uns alle geht, das Anthropozän. Die erste Epoche, in der der Mensch die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde merkbar mitbestimmt, mit seinem Stoffwechsel – es geht um das Jetzt.

Eigentlich komisch: wir und tatsächlichen Einfluss auf den Weltenlauf – und ausgerechnet, wenn das einmal zweifelsfrei belegt ist, schaut man lieber weg.

Vielleicht sind darum so wenig Leute da oder weil die Künstlerin eine Welsche ist – Röstigraben und so meint Myriam: «Die Berner*innen kommen nur raus, wenn sie die Namen kennen.» Sie hat Morgane Erpen in die Sattelkammer eingeladen, sie hatten sich in Kairo kennengelernt, auch sie, Myriam Gallo, war dort in Residenz (KSB berichtete).

Under the Strata zeigt Plastiken. Aus Plastik. Morgane hat alle Plastiksäckchen gesammelt, die ihr in Kairo gereicht wurden. Sie erklärt mir: «Gemüse packen sie dir in eine Tüte und um die Tüte gibts an der Kasse nochmals eine Tüte, würdest du eine Tüte haben wollen, sie würden sie dir eintüten.» Den ganzen Kunststoff hat sie dann in Garbage City einschmelzen lassen und zu neuen Formen gegossen. Dazu verwendete sie Takeaway-Schalen als Gussformenpositiv, aber auch Armierungseisen. Chiffren der gierigen, unfertigen Stadt. Das Versprechen Urbanität hat viel mit Verschwendung zu tun. Morgane nennt ihre Teilchen Fossilien des Anthropozäns: «Weil der Plastik das Mahnmal unserer Zeit ist und bleiben wird, vielleicht für ewig.»

Ich hake nach – Garbage City? «Das Quartier heisst eigentlich Manshiyat Nasser und hat eine Bevölkerung von ungefähr 60 000 Menschen. Hauptsächlich koptische Christen, eine ethnische Minderheit, man nennt sie einfach Garbage People. Die Männer sammeln Müll, die Frauen und Kindern sortieren ihn. Müll aus dem ganzen Metropolitanraum Kairo – Müll von 20 Millionen Menschen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie das dort riecht.»

Ich denke an Ameisen und wie wir es als Buben lustig fanden, ihre Haufen mit Feuerwerk zu sprengen – ich schlucke leer ob der Schilderung und verschlucke mich an meiner Erinnerung.

Vielleicht sind deswegen viele der Werkstücke von explizit dekorativem Charakter. Da finden sich Blumen im Kontrast zu farbigen Kunststoffsplittern, gebannt im durchsichtigen Plastikguss wie Insekten im Bernstein. Die Verarbeitung einer kognitiven Dissonanz mit den Mitteln der Arabeske? Das könnte als eurozentrische Ignoranz gewertet werden – Struktur bedingt Funktionalität und so, aber wen interessiert das heute noch. Ich würge zwei Salzstängelchen mit einem kräftigen Schluck Quöllfrisch runter und freue mich ob der Schönheit der Exponate, sie scheint belegt.

«Drei Koffer voll Material habe ich mit dem Flugzeug rückgeführt, das hat mich dreihundert Franken gekostet, aber mit DHL wäre es das Zehnfache gewesen. Einige Arbeiten sind zwar kaputtgegangen, weil die am Röntgengerät dachten, es wäre Sprengstoff und das Gepäck mit Messern aufschlitzten. Als ich in Genf landete, waren die Taschen nicht auf dem Rollband, ich musste sie abholen gehen auf dem Zoll. Mann, habe ich erst geweint, weil ich dachte: alles ist weg!»

Dafür ist da plötzlich der Hunger. Vor der Sattelkammer ist es überdurchschnittlich dunkel. «Lasst uns Pizza essen gehen», animiert Myriam. Auf dem Weg zum Restaurant Warteck fällt mir seit langem mal wieder ein Robidog-Kasten auf –

in der Schweiz packen wir sogar Hundescheisse in Plastik.