So much past is in my heart
year by year, I can’t let go
Fast zum Schluss sieht man lange nur diesen leeren Kinosaal, die roten Sitzreihen, auf die irgendwann ein Lichtfleck gestreut wird. Neon an, geht nach Hause.
Es braucht nicht viel zu passieren in diesem Film, um doch einiges zu erzählen: «Goodbye, Dragon Inn». Einer flüchtet vor dem Regen, springt über Pfützen in ein altes Kino; eine junge Frau mit Klumpfuss isst ein rosarotes gefülltes Dampfbrot, bevor sie sich daran macht, behutsam einige Aufräumarbeiten zu erledigen. Ein Projektionist raucht in seiner Arbeitskammer und lässt am Ende den Film rückwärts zurück auf die Rolle flattern, leert die mit Wasser vollen Plastikkübel, das Dach ist leck. Macht das Licht aus, die Türe zu.
«Goodbye, Dragon Inn» von Tsai Ming-Liang dauert gerade so lange, wie der Film, der im Saal gezeigt wird: Es läuft ein Martial-Arts-Klassiker, «Dragon Inn» – Männer in langen Mänteln prügeln sich elegant mit Schwertern, sagen Dinge wie: «Schon der Samen unserer Feinde muss im Wurzelwerk versiegen» oder: «Ist dieser Berg erst überwunden, werden wir uns nicht mehr sorgen müssen.» Er, der sich ins Trockene gerettet hat, sitzt nun auf einem roten Sessel, aber so recht konzentrieren kann er sich nicht, eine Reihe weiter hinten schmatzen zwei ihr Picknick weg, jemand streckt ihm die nackten Füsse neben das Gesicht, raucht ihm in den Nacken. So streift er lieber in den dunklen Gängen herum, steht lange am Pissoir, einer langt an ihm vorbei, greift nach der Ablage – Zigaretten vergessen. Gesagt wird fast nichts, und das macht umso intensiver, wie hier Nähe hergestellt wird zwischen den wenigen Figuren, die sich doch ab und zu begegnen. Wie sie sich in einem engen Gang aneinander vorbeidrücken, flüchtig erotisch und gleich wieder vorbei. Und wie die Frau dem Projektionisten ein halbes Dampfbrot übriglässt, sie stellt es im Kassenhäuschen auf den Tisch, bevor sie geht – eine freundliche Geste. Nur kurz wird hier eine Beziehung aufgetan, von zweien, die vielleicht auch sonst kaum miteinander reden mussten.
Und es ist klar: Dieses Kino muss schliessen, es ist der letzte Abend, die letzte Vorstellung, da zeigt man noch einmal einen Klassiker. Hier und heute schliessen die Säle im Stillen, wie viele es sein werden, wissen wir nicht. «Goodbye, Dragon Inn» läuft an den Solothurner Filmtagen, im Internet also. Die Verbindung ist schlecht, ich schaue den Film in der Küche auf dem Laptop und in niedrigster Auflösung, 360p, trotzdem stockt ständig das Bild. Normalerweise sässe man jetzt im Kreuz und liesse sich mit Weisswein volllaufen, hörte der Mischung aus Stammtisch und Filmlustigen zu. Das Beste aus der Situation gemacht, das ist doch immer noch sehr traurig.
Da passt dieser Film, gedreht 2003 in Taiwan, unter dem Eindruck der Sars-Epidemie. Ein Kino voller Geister, ghosts of crisis past. Auch hier kein Fest, das Kino zu verabschieden, es sind ohnehin zu wenige gekommen. Die Lauten, Nervigen, die man sich nur beinahe wieder zurückwünscht, einer, der nicht nass werden wollte – und zwei, die sich beim Rausgehen vor dem Kino über den Weg laufen und dann verabschieden: Sie hatten beide, 1967, in «Dragon Inn» gespielt. Nun haben sie keine langen Mäntel und Schwerter mehr, sind einfach noch einmal gekommen, ihren eigenen Film zu sehen. Dann Licht an, nach Hause gehen. Es regnet in Strömen.
«Goodbye, Dragon Inn» von Tsai Ming-Liang (2003) lief an den Solothurner Filmtagen, die in diesem Jahr zum ersten Mal komplett online stattfanden. Das Zitat stammt aus dem Lied «Liu Lian» von Yao Lee, in englischer Übersetzung.