All Cops Are Basquiats

Tatort Kunstraum. In der Nacht auf Montag erschüttert ein Farbanschlag die Sattelkammer im Länggassquartier, ein radikal-situationistisches Kollektiv unter dem Decknamen «VagabundInnen» bekennt sich zum Angriff. Das Communiqué der Gruppe prangert die laufende Ausstellung «Reto Spillmann» an, zu der auch der gleichnamige Zürcher Kantonspolizist Kunstwerke beigetragen hat. Kurator Mayo Irion zeigt sich darüber «psychisch vor allem traurig» TeleBärn berichtet. Diese Ereignisse werfen Fragen auf – Fragen, die tiefer greifen, als es die pamphletische und traditionell polizeikritische Haltung der «VagabundInnen» vielleicht vermuten liesse: Welche Rolle spielt die Polizei im Kunstbetrieb? Und verbirgt sich dahinter ein Jahrzehnte altes Missverständnis, das sich in diesen Tagen an der Figur Reto Spillmann und einem kleinen Berner Off-Space offenbart?

Galizia, Rihs und Schwab diskutieren.

Rihs: Warum sollten die nicht auch malen können, die Gesetzeshüter, und Bilder hauen? Da denkt es mir nach C.G. Jung: «Wann endlich kommt die Zeit, wo man den Menschen nicht einfach in barbarischer Weise voraussetzt, sondern allen Ernstes nach Mitteln und Wegen sucht, ihn zu exorzisieren, seiner Besessenheit und Unbewusstheit zu entreissen, und dies zur wichtigsten Kulturaufgabe macht?» Und ich höre Susan Sontag, wie sie fordert: «Statt einer Hermeneutik brauchen wir eine Erotik der Kunst.» Ich habe es all die Jahre falsch verstanden, ihr Auftritt ist, im Sinne kunstschaffender Erotik, eine Inszenierung der Schöpfung: Gewalt erzeugt Gegengewalt – als Performanz – denn kein halbwegs recht und rechtens denkendes Wesen kann es je ernst gemeint haben mit dem Knüppel, das hält man doch im Kopf nicht aus. Vielmehr ist diese performante Gewalt eine Aufforderung zur kreativen Beteiligung am Umsturz – «Wir sagen, natürlich, die Bullen sind Schweine, wir sagen, der Typ in der Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch, und so haben wir uns mit ihm auseinanderzusetzen. Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist falsch überhaupt mit diesen Leuten zu reden und natürlich kann geschossen werden» und eben gerade nein – werte Ulrike Meinhof, ich weiss es jetzt, nein! Du hattest Schuppen auf den Augen, die Ideologie verstellte die Sicht – die reelle Exekutive muss vielmehr als ein negatives Projekt verstanden werden. Es ist ein Angriff auf den bürgerlichen Fetisch der Repräsentation von Staatsgewalt, von Sicherheit – Polizist*in sein, heisst Fluxus.

Dokumentation einer Performance im Dönerladen.

Schwab: Fluxus! Die Polizei also ist im Kern ein revolutionäres Kunstprojekt. Es unterwandert in diesem Geist das bürgerliche Projekt, als Hyper-Mimesis, als Überschärfung der Bedürfnisse von Sicherheits- und Ordnungsgesellschaft. Die kanonisch als revolutionär wahrgenommenen Kunst- und Politaktionen seit den Sechzigerjahren – nichts mehr, als ein Marionettenspiel und die fürs perfekte Spektakel nötige Antagonie im grossen, weltweit so subversiv wie performativ zum Ausdruck gebrachten Kunstwerk Polizei. Es ist freilich stagniert und spröd geworden als fixierte Rolle – und wir erleben jetzt, aus Notwendigkeit, den integrative turn. Mit Reto Spillmanns Eintritt in die Sphäre der Kunst und ihre Räume vollzieht sich die nächste Stufe, das Projekt wird gemeinhin als Werk lesbar. Und in der Tat werden wir, was «Repression» hiess, künftig anders lesen müssen: Als Aufforderung zu Ungehorsam und Spiel, in ebenjener Art, wie die Polizeikräfte Kunstschaffende sind. Ihre Knüppel sind Pinsel, ihre Bussen Gedichte, ihr Ausschwärmen Choreographie. Ihre Uniform ist der Beweis, dass die Autor*innenschaft längst überwunden ist. Sie sind die wahrsten Strassenkünstler*innen in einem ganz und gar unfolkloristischen Sinn. Es ist somit Zeit, vom folkloristischen Polizeihass abzusehen, wie er die ausserparlamentarische Linke paradigmatisch leimt, es ist Zeit, sich der Blauen Kunst anzuschliessen. Ich schlage vor: «Fund The Police!», gebt ihr Kulturgeld, gebt ihr Räume, gebt ihr Sichtbarkeit im Kunstbetrieb.

Reto Spillmann «Fuck The Police», Fotografie, 2020.

Galizia: Das revolutionäre Kunstwerk Polizei, genau: Aber ist das Missverständnis nicht offensichtlich? Es ging eben nie um Verzweckung und ebenso gibt es Gründe dafür, dass sie das früh in den Polizeischulen lernen: «We don’t talk to civilians.» Ein solches Kunstverständnis ist weit entfernt von der Sehnsucht nach moralischer oder monetärer Anerkennung, diese Kunst bettet sich nicht ein in institutionelle Kontexte, ein integrative turn liesse dieses fragile Konstrukt zerbrechen. Stichwort Corps-Geist, fürwahr: la beauté est dans la rue. Aber Spillmann hat die Schönheit der Stille nicht verstanden, die Auflösung der Kunst im polizeilichen Alltag; konnte nicht abrücken von fixen Vorstellungen – hat die Leidenschaft in einen Rahmen gepresst, auf einer Leinwand ersticken lassen und schliesslich noch das letzte Ideal an einen zunehmend von links gesteuerten Markt ausverkauft. Er konnte es nicht mehr halten, hat das Geheimnis preisgegeben, der Wunsch nach profanster Anerkennung wurde zu gross. Galerie, Kunstraum, es spielt doch keine Rolle, beim Überschreiten der Schwelle in die Sphäre der sogenannten «Kunst», von Staat und Privaten noch gefördert, da hat er jede Ehre verloren; beim Handschlag mit dem Sammler, dem Zuprosten mit dem Mäzen, da ist etwas zerbrochen. Das ist der Ausverkauf einer einstmals subversiven Kunstform, der höchsten dadurch, dass keiner von ihr Kenntnis hatte. All cops may be Basquiats – aber du, Reto Spillmann: Du bist ein Verräter.

Die Sache ist komplex und die Kunstwelt wird sich darum erst sortieren müssen. Was feststeht: Die Abklärungen um die Affäre Spillmann laufen. Die Polizei ermittelt hier gewissermassen gegen sich selbst: Gegen den scheinbaren Aktionismus der «VagabundInnen», der, machttheoretisch besehen, jenes System erhält, aus dem ein Einzelner herausgetreten ist und sich aus dem subversiven Schatten des Autor*innen-Kollektivs ans Licht der Anerkennung gestohlen hat. Just another needy fucking artist. Im Radius der Kunstgeschichte aber werden wir diesen Moment vielleicht bald als «das wahre Erdbeben von Bern» erinnern – Epizentrum Bern-Länggasse.