I bi extrem hässig u ha nid mini Täg

Vor mir fahren fünf junge Frauen auf dem Velo mit Princess Nokia, sie jubeln jeder Frauengruppe zu, an der sie vorbeiziehen, alle lila, pink, violett, rot. Wir sind auf dem Weg in die Stadt. Ich fahre eine Schlaufe über den Bundesplatz, er ist noch leer bis auf eine Bühne, darauf und drumherum zehn Jungs, die gemeinsam und etwas unbeholfen ein riesiges Venussymbol aus Pappmaché aufzustellen versuchen.

Es ist viertel vor sechs, der Waisenhausplatz ist voll, weiter runter zur Schützenmatte, die sich ebenfalls füllt, auch hier alles lila, Wägen mit Figuren drauf und mit Bier, Wasser, Masken drin, es läuft Musik, die Stimmung ist ausgelassen. Ich bin dünn wie Seidenpapier, nur nicht reissen, nur nicht weinen. (Oder vielleicht doch, es ist so furchtbar schön.) Dann kommt einer und schenkt mir ein Bier, jemand spritzt mir kaltes Wasser in den Nacken und eine lilaglitzernd geschminkte Superheldin fragt mich, ob es vielleicht doch einen biologischen Zusammenhang gibt, was die Sexualisierung der weiblichen Brust angeht und was das in dem Fall für einen gesellschaftlichen auch für unseren persönlichen Umgang damit bedeuten würde. Der Zug macht sich auf in die Stadt.

Zwei Jahre ist das jetzt her, der Tag, an dem wir lernten, wie viel hunderttausend Menschen sind, hunderttausend hauptsächlich Frauen – der Tag, an dem diese Stadt ein violettes wunderschönes Monster war, an dem überall Musik lief und alle hüpften, tanzten, rannten, an dem wir wütend waren und glücklich. Und ein Jahr ist das jetzt her, als man stärker als sonst die Vereinzelung spüren konnte, die uns Covid gebracht hat – ein paar lila Tupfer in einer grauen Innenstadt, ein paar wenige Frauen, müde vom Parcours durch die leeren Gassen.

Es ist der 14. Juni 2021 und niemand hier kann so recht glauben, dass das wirklich passiert, dass so viele Menschen da sind, es so viele Menschen überhaupt noch gibt – im Pyri quetschen sich die Stammgäste einigermassen fassungslos an die Wand, als die Menge laut rufend an ihnen vorbeizieht. Sehr junge Frauen und sehr alte, eingehakt bei der Tochter oder einer Freundin, stolze trans Männer mit freiem Oberkörper, biertrinkende Mamas mit Kinderwägen, müde, wütend und überaus glücklich: Es gibt ein Leben nach Covid, es gibt ein Leben nach der Abstimmung. Zehntausend Menschen, das sagt der «Bund», vielleicht sind es auch mehr. Um halb acht ist der Bundesplatz voll bis an die Ränder.