Massiver Eigenbedarf

Für realpolitische Angelegenheiten haben wir zum Glück unsere Korrespondent*innen: Robin Zurbrügg imaginiert zu den seltsamen Blüten, die der Wahlkampf so treibt.

Ich steige aus dem 8er-Bus Richtung Solothurn. Rüti b. Büren. Es zieht ein kaltfeuchter Wind übers Seeland. Die Sonne ist unter dem Horizont, schon bald wird sich die Nebeldecke wieder sanft auf die alten und weniger alten Bauernhäuser legen. Ich zünde eine Zigarette an und folge den Anweisungen meines Handys zum Hofe Siegenthalers. Wie tickt Heinz? Soll er uns wieder im Namen der BDP im Nationalrat vertreten? – Ich bin hier, um mir diese Fragen zu beantworten.

Ich folge einem Quartiersträsschen. Im Dorf ist es ruhig. Die Lichter in den Fenstern zeigen Schattenspiele speisender Familien. Das Haus, zu dem ich muss, befindet sich freistehend am Ende dieser Strasse. Ich spicke meine Zigarette ins Feld. Ich stehe vor einem kürzlich renovierten Bauernhaus. Vorne die üblichen geschmackvoll alt aussehenden Werkzeuge, zur Dekoration verbannt und an die Wand gehängt. Es tönen überraschend dumpfe Bässe aus dem Erdgeschoss. West Coast, hier? Ich drücke auf die Klingel. Niemand öffnet. Ich gehe ums Haus; es läuft Deep Cover, Dre und Snoop Dogg. Eine Holztüre ist leicht geöffnet, daraus steigt ein wenig Rauch. Gras, hier? Ich klopfe an der Türe und trete ein.

Eine Art Wohnzimmer: Zwei Sofas und ein grosser Ledersessel stehen um einen kniehohen Tisch, darauf drei überquellende Aschenbecher neben Rustschalen und verharzten Grindern. Bongs in verschiedenen Stadien des Siffs. An der ganzen linken Wand stehen deckenhohe Schränke, die von innen leuchten. Ein angebauter Ventilator summt leise. Es blubbert.

Heinz Siegenthaler sitzt tief im Sessel und zieht an einer Bong.

Er exhaliert. «Schön, hast du’s noch geschafft.» Er hustet. «Dieser Scheiss ist krass.» Er grinst mich mit breitem Mund an, die Augen klein und feuerrot.

«Heinz Siegenthaler?» frage ich.

«Ganz genau.»

«Aber, was? Ist das CBD?»

Sein Lächeln verschwindet. «Was ist dein Problem? Noch so ein Spruch und du fängst eine.»

Ich entschuldige mich. Er lächelt wieder, mit kalten Augen dieses Mal.

«Setz dich.» Er zeigt auf das Sofa gegenüber. Es ist mit leeren und halbleeren Chips- und Kekspackungen bedeckt. Ich schiebe sie zur Seite und versuche unauffällig ein Teil der Brösmel wegzuwischen.

«Du bist ja noch heikler als der von Watson.»

Das tut weh. Ich setze mich und nehme die Interviewfragen aus meinem Rucksack. Er verschafft sich einen Überblick der Aschenbecher und wählt gezielt einen angefangenen Joint aus.

«Purple Haze, Alter, wie Hendrix.»

Ich habe sowas schon öfters gehört, aber ihm glaube ich es. Er zündet, pafft zweimal und sinkt wieder in den Sessel. Sein Grinsen wird wärmer. Er reicht mir den Joint. Ich lehne dankend ab: «Ich arbeite.»

Wieder wird er ernst: «Sei nicht schwach.» Ich nehme einen Zug und behalte den Joint in meiner linken Hand. Auf meinen Knien mein Notizbuch, auf dem Tisch meine Fragen.

«Vielen Dank, dass Sie sich Zeit nehmen. Beginnen wir doch mit…»

Er steht auf. «Warte mal kurz, ich liebe diesen Track.» Er dreht die Musik auf, das Klaviersample von Still Dre erklingt wie immer in beeindruckender Schärfe. Ich sehe ein Wahlplakat an der Wand. Klassisches BDP-Gelb umrahmt ein Schwarzweissfoto von Heinz Siegenthaler, der gerade Snoop Dogg einen Handschlag gibt.

Er lacht. «Geil, oder? Vom letzten Snoop Lion Konzert.» Wieder lacht er. «Sei zu krass für den Wahlkampf. Feiglinge.»

«Äh, ja», sage ich unsicher, «ich wollte zuerst fragen, wie sie zur…»

Er nimmt mein Fragenblatt vom Tisch und faltet es einmal in der Mitte.

«Entschuldigen Sie, dass brauche ich noch.»

Er ignoriert mich. Er kniet mit seinen gelben Adidas-Trainerhosen auf einen der vielen Teppiche und versucht krampfhaft einen Grinder zu öffnen. «Das ist so verharzt. Würde man das mal in Milch auskochen, man wäre eine Woche lang high.» Es gelingt ihm, den Grinder zu öffnen, er schüttet eine absurde Menge Gras aufs Blatt, dazu eine esoterische Menge Tabak, Marke Heimat. 20cm reisst er der Ripsrolle ab. Natürlich dreht er rückwärts. Während er das übrige Papier gekonnt abbrennt, fragt er, ob ich mal ein bisschen lösungsorientierte Sachpolitik hören wolle.

«Ja, also, deshalb bin ich ja da. Wie stehen sie zu…»

«Fuck bitches, smoke trees.» Er lacht laut. Ich versuche ihn anzusprechen, aber er kann nicht aufhören. Er lehnt sich zurück, Tränen laufen über sein Gesicht. «Da kannst du mich zitieren.» Mittlerweile liegt er fast auf dem Boden.

«Verdammt noch mal. Sagen Sie, ist das eine Indoor-Anlage?»

Er zwinkert mir zu. «Ganz genau, Scheisslandwirtslehre hat sich doch gelohnt. Siegenthaler Chronic, heftiger Scheiss.»

«Aber ihr Geschäft würde ja nach einer Legalisierung zusammenbrechen…»

«Wer redet vom Verkaufen? Deckt nur Eigenbedarf.» Er zieht am Joint und bläst mir Rauch in Gesicht. «Warst du schon mal an einer BDP-Sitzung? Massiver Eigenbedarf.»

Die wenigen Züge, die ich genommen habe, beginnen, mir einzufahren. Das Zeug ist wirklich übel.

«Ich glaub, ich brauche ein Glas Wasser…»

«Schhh, hit den noch schnell», streckt er mir den Joint entgegen, «er brennt schon.» Ich nehme einen tiefen Zug und muss husten. «Nice, oder?» Ich muss nicht antworten. Er setzt sich neben mich. Es knistert. Er nimmt eine Fernbedienung zur Hand, eine Leinwand rollt runter. Ich habe ein bisschen Hunger.

«Alter, hast du Planet Earth schon gesehen?»