New Orleans im Üechtland

Es ist voll, heiss, feucht, rotes Licht und Nebel, auf Zehenspitzen stehen, nach vorne drängen. Delish Da Goddess im Spaghettiträgertop, über die Brust tätowiert steht «Goddess», der Kopf kahlgeschoren. Sie nimmt mühelos die Bühne und den ganzen Raum ein, packt das Publikum am Kragen, ist es eine Ohrfeige, eine Umarmung, vielleicht am liebsten beides? Neben all den Gitarren an dieser Bad Bonn Kilbi 2022 ist es jetzt eine Dreiviertelstunde Trap, die durchschüttelt und ankommen lässt. Willkommen auf Feld eins. Hart, aber nicht aggressiv, man würde gerne gehalten von ihr, stundenlang irgendwo in einem Bett auf einer Wiese an einem Konzert, lieber keinen Streit anfangen, sich tragen lassen von der tiefen Stimme.

«Ich werde ständig misgendered», sagt Delish später im Gespräch. Sie lacht immer, auch wenn sie selber erzählt. Also wie, warum das? «Ich blute jeden Monat, ich weiss auch nicht. Vielleicht ist es meine Stimme.» «Es hombre o mujer» steht auch in Youtube-Kommentaren, ja gottverdammt, ist es denn so wichtig, beziehungsweise: Könnte man diese Verwirrung auch einfach geniessen? Eine cis Frau halt mit kahlem Kopf, grosse breite Attitüde, die vielleicht tatsächlich ein wenig aussieht wie ein Bub, aber was ist schon ein Bub. Ein gut gelauntes Wesen mit hundert Schichten Armutserfahrung, Katastrophen, Behauptung: 2005 fegt Katrina ihr Heimatstädtchen weg, Violet, Louisiana, südöstliche Outskirts von New Orleans. Das Städtchen liegt an einer Schlaufe des Mississippi, dahinter beginnen die Bayous – eine rurale Gegend mit überwiegend Schwarzer Bevölkerung. «Ich habe alles verloren», sagt Delish, damals dreizehn Jahre alt, «everything, do you hear me?» Das Haus zerstört, aber ihre Familie hat überlebt, sich irgendwie zusammengerauft, sie, die Eltern, die Brüder, heute sagt sie über sie: «I hate them, I love them.» Lacht wieder.

In der vierten Klasse hat sie ihre ersten Rhymes geschrieben, wegen einer guten Lehrerin, die sie ermutigt hat. «Ich möchte rappen wie ein Mann», sagt die Goddess in einem Youtube-Video, und dann sieht man, wie sie den ganzen Raum zusammenschreit, und macht das doch: zärtlich? Eine Stimme sein, Energie erzeugen, «spitten» – es ist hier wirklich wahr. Gute zwei Handvoll EPs und Singles hat sie seit 2013 herausgegeben, die ersten billig produzierte, rohe Kürzest-Traptracks, selbstbewusst schon da. Die jüngeren sind aufwändiger gemacht, sanfter geworden, umso dringlicher, «Violet Ep» (2018) und «Violet Ep 2» (2020): Es geht um die Familie, aber auch weit darüber hinaus. Zusammengehalten sind diese Albumminiaturen durch Skits, die Eltern erzählen und die Nichte singt, «You are my sunshine, my only sunshine». Dazwischen wandelt sich Delish Da Goddess, pendelt zwischen in your face und Streicheleinheit. Die Queen, das ist sie immer.

In Düdingen sitzt sie nach dem Konzert auf einem weissen Plastikstuhl, dreht einen Joint und sagt: «Setz dich», während draussen die Idles das Gelände zusammenschreien, und dann führt sie ein überaus freundliches Gespräch mit mir, «Hi, I’m Gabi», sagt Delish Da Goddess, bürgerlich Gabriel Major. «Klar, es ist anders hier zu spielen, ruhiger, verhaltener», das ist kaum erstaunlich. Ich schaue mir später daheim Videos aus New Orleans an, wo der ganze kleine Raum springt, eine junge Frau kniet am Rande des Moshpits, schaut mit weit geöffneten Augen und Mund, ausgestreckter Zunge zu Delish hoch, diese schüttet ihr aus einer Flasche Wasser in den Mund. Naja, das passiert in Düdingen nicht, nicht heute. Was sollen die Vergleiche, «it was very nice to play here», ein schöner Ort und manchmal hüpfte auch dieser ganze kleine Raum, sagt sie zufrieden, zieht, gibt den Joint weiter.

In New Orleans ist man mit der Heimat streng, das Städtchen Violet liegt ausserhalb und gehört eigentlich nicht mehr dazu. Warum die Herkunft verleugnen, findet Delish, die doch angekommen ist in der Szene der grossen Stadt, beeinflusst von Bounce, der grellen New Orleanser Spielart von Hip-Hop, geboren aus der queeren Szene. Am Sonntagabend wird an der Kilbi mit Big Freedia eine Ikone des Genres auf der Hauptbühne spielen. Auch Beyoncé ist Fan: Ihre kürzlich erschienene Single «Break My Soul» basiert auf einem Sample von Big Freedia. Delish strahlt, als ich sie auf die Rapperin anspreche, sagt dann wehmütig: «Man, Big Freedia, I know», sie selbst spiele an dem Abend leider woanders, und sie seufzt: «She’s my mama.» Die Mama, als ich sie am Sonntagabend darauf anspreche, wird ebenso strahlen. Wie Delishs Auftritt denn gewesen sei, fragt sie, und meint: «She’s my baby.»

Baby oder Bub, hombre o mujer, rappen wie ein Mann, wie eine Queen, aber was heisst das schon. Gabi sagt, wahrscheinlich nicht zum ersten Mal und wahrscheinlich nicht zum letzten: «I don’t care what they call me, I got ‹Goddess› on my chest.»

Dieser Text erschien zuerst in der gedruckten Augustausgabe des KSB Kulturmagazins.